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Rheintalbahn voraussichtlich wochenlang unterbrochen

Zwischen Deutschland und unserem Nachbarland Schweiz gibt es drei direkte Bahnverbindungen (von Ost nach West):

  • Lindau-Bregenz-St. Margarethen (gut, auch nicht direkt, ist ein Stück Österreich dabei): Deutsche Zulaufstrecke nur mit Diesel befahrbar (aber das ist eine gaaaaaz andere Geschichte),
  • Singen-Schaffhausen: Deutsche Zulaufstrecke über weite Strecken nur eingleisig (Gäubahn) oder steil (Schwarzwaldbahn, die aber für die Betrachtung dieses Artikels zur Seite fällt), Fahrtrichtungswechsel in Singen notwendig (wir arbeiten dran), und schließlich
  • die Rheintalbahn, um die es in diesem Artikel gehen soll.

Durch eine Störung bei einer Baustelle bei Rastatt ist die Rheintalbahn seit Samstag Mittag vollständig unterbrochen. Und es sieht so aus, als ob das wochenlang so bleiben wird.

Die Rheintalbahn stellt von den drei verfügbaren Strecken mit Abstand die leistungsfähigste und höchst belastete dar. Sie ist zusammen mit ihren Zulaufstrecken von Frankfurt bis Offenburg nahezu durchgehend viergleisig ausgebaut (oder es gibt mindestens eine zweite, gleichwertige und nahezu parallele Strecke) und natürlich elektrifiziert.

Lediglich zwischen dem Bahnhof Rastatt und dem schon fast in Baden-Baden liegenden Abzweig Rastatt Süd gab es bis Samstag 12. August nur ein befahrbares Gleispaar. Die Vergangenheitsform nutze ich deswegen, weil dieses Gleispaar noch eine ganze Weile gesperrt bleiben wird, mit entsprechend fatalen Folgen sowohl für den Fernverkehr von Deutschland in die Schweiz als auch für den Nahverkehr in Nordbaden.

Zur Auflösung des Nadelöhrs Rastatt und im Rahmen der 250-km/h-Neubau/Ausbaustrecke Karlsruhe-Offenburg (deren Abschnitt von Baden-Baden bis Offenburg seit zehn Jahren fertiggestellt ist) wird aktuell der aus zwei eingleisigen Röhren bestehende Tunnel Rastatt erstellt. Die Oströhre ist so gut wie fertig; die von Norden operierende Tunnelbohrmaschine für die Oströhre sollte das bestehende Gleispaar der Rheintalbahn am Wochenende unterfahren - und zwar mit einer Überdeckung von ungefähr fünf Meter etwa an dieser Stelle.. Da man sich bewusst war, dass das ein eher sportliches Vorhaben ist, hat man das Erdreich an dieser Stelle eingefroren, um dann den Eisblock mit dem Tunnel zu durchfahren.

Dabei kam es am Samstag zu einem Zwischenfall, bei dem so viel Erdreich nach unten weggefallen ist, dass sich an der Oberfläche die Gleislage für jeden Menschen mit bloßem Auge sichtbar abgesenkt haben. Natürlich war an dieser Stelle auch eine Überwachung eingebaut, die schon viel weniger sichtbare Absenkungen des Bodens sofort erkannt hätte, und vermutlich war es auch diese Überwachung, die Alarm ausgelöst und dann für die Sperrung der Strecke gesorgt hat.

Was unter Tage passiert ist, kann man aktuell (Montag abend) nur spekulieren. Am Wochenende hatte DB Regio kurzzeitig einen Bericht veröffentlicht, in dem stand, dass der Tunnel wegen eines Wassereinbruchs derzeit nicht begehbar ist. Nachdem am Montag morgen der Zensordie Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns den Text überarbeitet und Pressemitteilungen herausgegeben hat, ist nur noch von Unregelmäßigkeiten beim Tunnelbau die Rede. Meine Spekulation: Die aktuell bis zum 29. August angegebene Sperrzeit der Strecke ist viel zu optimistisch, das wird noch Wochen länger dauern.

Was mir in der Pressearbeit der DB noch fehlt, ist die Auskunft, ob die Bedienungsmannschaft der Tunnelbohrmaschine die Baustelle unbeschadet verlassen konnte. Ich hoffe zutiefst, dass das der Fall ist.

Hinter Offenburg geht es übrigens bis auf weiteres nur noch zweigleisig bis Basel weiter. Freiburg hat eine (nicht durch den Hauptbahnhof führende und daher höchstens für nicht an jeder Milchkanne haltenden Personenverkehr brauchbare) Güterumgehungsbahn, und zwischen dem Abzweig Schliengen bei Bad Bellingen und dem kurz vor Basel liegenden Haltingen gibt es den vor einigen Jahren eröffneten Katzenbergtunnel, der ein (gegenüber der Altbaustrecke deutlich kürzeres und schneller befahbares) zweites Gleispaar bereitstellt.

So weit der technische Teil. Die Disposition der DB muss am Samstag einen echten Scheißtag gehabt haben. In drei Bundesländern gingen an dem Wochenende die Sommerferien zuende; die Züge werden brechend voll und weitgehend ausreserviert gewesen sein. Und dann stranden auf diese Weise gut gefüllte Fernverkehrszüge reihenweise in Karlsruhe, Rastatt, Baden-Baden und Offenburg; ein oder zwei Züge werden vermutlich sogar einige Zeit lang auf freier Strecke gestanden haben. Das sind Fahrgäste in einer Menge, für die man selbst als Deutsche Bahn nicht mal eben innerhalb von ein, zwei Stunden einen Busersatzverkehr auf die Straße bringt. So war man schon über den ersten zwischen Karlsruhe und Baden-Baden fahrenden Bus glücklich, der sich aber vermutlich nicht einmal wie ein Tropfen auf dem Heißen Stein angefühlt haben dürfte.

Auf der Schiene hatte man das Ersatzkonzept relativ schnell: Die aus dem Süden kommenden Züge wenden in Baden-Baden bzw. Offenburg; die aus dem Norden wenden in Karlsruhe und Rastatt. Dazwischen Bus. Leider hat es wohl viel zu lange gedauert, bis Busse in spürbarer Anzahl zur Verfügung standen. Böse Zungen mögen jetzt behaupten, dass am Wochenende niemand da war, der autorisiert war, Geld in der notwendigen Größenordnung in die Hand zu nehmen, um die Busunternehmen der Region dazu zu motivieren, um alles auf die Straße zu schicken, was Räder und TÜV hat. Teilweise hat die DB ihren Fahrgäste offiziell empfohlen, geplante aber noch nicht begonnene Reisen nicht zu beginnen und bereits begonnene Reisen abzubrechen.

Ich kann mich nicht an eine Störung dieser Tragweite und dieser Dauer erinnern.

Inzwischen haben wir Montag und das Konzept scheint eine gewisse Stabiltät erreicht zu haben: Ein Teil der Fernverkehrzüge wendet in Rastatt und nimmt in Karlsruhe die Passagiere der dort wendenden anderen Fernverkehrszüge auf. Zwischen Rastatt und Baden-Baden gibt es einen Busnotverkehr im Sechs-Minuten-Takt (ich habe keine Idee, ob das ausreichend ist), auf der Südseite der Störung gibt es dasselbe Konzept in Grün mit Baden-Baden und Offenburg statt Rastatt und Karlsruhe. Ich glaube, wenn das halbwegs rund läuft, hat Flixbus die Chance auf "Karlsruhe-Freiburg Nonstop zum Extrapreis" verpasst.

Die üblichen Probleme im Störungsfall scheint die DB diesmal aber auch zu haben: So ist der Busnotverkehr nicht im elektronischen Fahrplan eingepflegt. Die Fahrplanauskunft führt die Stadtbahnen der AVG auch im Abschnit Rastatt-Baden-Baden als "verkehrt und ist pünktlich", was zu klar nicht realisierbaren Fahrtvorschlägen wie "bis Rastatt mit dem ICE, dann mit der S7 nach Baden-Baden, dort mit dem Ersatzzug des vorher verkehrenden ICE-Takts weiter" führt. Und schon für den morgigen Tag werden wieder nonstop verkehrende ICE von Basel nach Frankfurt (allerdings mit einer auf die Großstörung hinweisenden Fußnote) angeboten. Und auf Twitter beklagen sich Leute über weitgehend abwesende Fahrgastinformation mindestens in Rastatt.

Umleitungsstrecken sind übrigens rar. Zur Verfügung stünden:

  • Frankreich. Im Elsaß nicht elektrifiziert, außerdem braucht es Fahrzeuge mit Frankreichzulassung. Und die SNCF bzw. der Infrastrukturbetreibe RFI sind nicht gerade für ihre Flexibilität bekannt.
  • Freudenstadt. Im der ersten Drittel bräuchte es steilstreckentaugliche Fahrzeuge; das zweite Drittel ist nicht elektrifiziert, und obendrein kommt das drittel Drittel in der falschen Richtung in den Bahnhof Offenburg hinein. Außerdem größtenteils eingleisig mit nicht für ernsthafte Züge brauchbaren Überholgleisen (da verkehren sonst Karlsruher Stadtbahnen mit maximal 120 Meter Länge oder Regioshuttles)
  • Horb-Singen. Derzeit nur über Tübingen oder Nagold erreichbar, da der Weiterverlauf der Gäubahn (zweigleisig, elektrifiziert) nach Stuttgart noch bis in den September hinein wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Beide Alternativstrecken sind nur eingleisig und nicht elektrifiziert, Nagold vermutlich auch nur mit kurzen Überholgleisen. Allenfalls wäre ein Richtungsbetrieb (Südwärts über Pforzheim, nordwärts über Tübingen) denkbar, aber nicht realistisch.
  • Ulm-Singen: Nicht elektrifiziert, größtenteils eingleisig.
  • Lindau: Größtenteils nicht elektrifiziert.

Die ÖBB haben ihren Nightjet in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf den über 300 km langen Umweg über Arlberg - Innsbruck - Kufstein - Rosenheim - München nach Fulda geschickt; der nordwärts fahrende Zug hatte dann trotz Auslassung des Schlenkers über Berlin in Hamburg knapp drei Stunden Verspätung, der südwärts fahrende Zug fünf.

Südwestdeutschland berührendes Bahnfahren wird in den nächsten Wochen sicherlich mehr als spannend. Und der Bauleiter braucht vielleicht einen Einwegflug nach Bora-Bora.

Abschließend noch etwas Medienschelte. Eine spontane Sperrung von A5 oder A8 für zwei Wochen in der Hauptrückreisewelle wäre in der Heute-Sendung der Aufmacher gewesen. Die Störung der Bahn war am Samstag in der 19.00-Heute nichtmal unter "vermischtes" zwischen Wetter und Sport eine Erwähnung wert. Spiegel Online hat am Montag morgen um zehn den Hintern so weit hochbekommen, die Agenturmeldungen inklusive der seit Samstag kursierenden Falschmeldung, dass Rastatt und Baden-Baden 20 km voneinander entfernt wären, abzuschreiben. Ein Trauerspiel. 48 Stunden nach dem Unfall beginnen die Medien so langsam in Bewegung zu kommen. Leute, Journalisten, das geht nun wirklich besser.

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Jakob on :

Wo ist denn die Strecke zwischen Karlsruhe und Offenburg viergleisig? Ich kenne nur die zusätzliche Bummelstrecke zwischen Karlsruhe und Rastatt, danach geht's nur zweigleisig weiter (m.W. mindestens bis Freiburg). Ich bin fast meine gesamte 1&1-Zeit (Juni 2006 bis Juli 2016) auf der Strecke gefahren (meistens ICE, ab und zu auch mal RE), von daher ist meine Sicht vielleicht etwas eingeschränkt. Hab auch nur zufällig mal erfahren, was denn da für ein komisches Ding unter der Autobahnbrücke kurz vor Rastatt gebaut wird...

Und was genau ist seit 10 Jahren zwischen BAD und OG fertig? Die ICE-Strecke ist ja schon viel länger fertig, und von einer Änderung hab ich 2007 auch nichts mitbekommen (hatte da allerdings auch mal eine Zugpause).

Marc 'Zugschlus' Haber on :

Zwischen Karlsruhe und Rastatt gibt es ein Gleispaar über Durmersheim, eins über Ettlingen West; zwischen Baden-Baden und Offenburg liegen die beiden Gleispaare direkt nebeneinander. Viel mehr viergleisig wie zwischen Baden-Baden und Offenburg geht nicht.

Ja, das sind teilweise zwei zweigleisige Strecken, das hatte ich für den geneigten Leser vereinfacht ;-)

Stefan on :

Ich kann mich nicht an eine Störung dieser Tragweite und dieser Dauer erinnern.

Naja. Bei den Streiks war jeweils halb Ostdeutschland tot, und ich meine, das war durchaus auch mal über Feiertage oder länger als eine Woche.

Da hieß es dann, aus Richtungen, in deren Umfeld noch genug Bundesbahnbeamte übrig waren, "der Ersatzfahrplan hat doch super funktioniert, war doch gar nicht so schlimm".

Marc 'Zugschlus' Haber on :

Das war ein Streik, keine Störung. Und die Streiks gingen auch nicht über mehrere Wochen am Stück.

Jakob on :

Wow. Ich komme mir grad ein bisschen doof vor. Da fahre ich diese Strecke jahrelang jeden Tag und merk nicht, daß da tatsächlich vier Gleise sind. Ist jetzt nicht so, daß ich die ganze Zeit aus dem Fenster schaue (die meiste Zeit lesen oder dösen), aber ab und zu ja schon, und da sollte man sowas doch sehen...

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