Von einem der Auszog um mobile Daten in der Schweiz zu haben
In wenigen Wochen geht es zum Bahnfahren in die Schweiz. Ohne mobile Daten in ernstzunehmender Menge geht das gar nicht. Bisher habe ich mich stets mit einer Swisscom Natel Easy-Prepaidkarte versorgt, deren wunderbarer uralter Tarif bei 3 Franken pro Tag für mobile Datennutzung gedeckelt war. Dummerweise ist diese Karte seit ihrer letzten Benutzung verstorben, so dass es eine Alternative braucht.
Das ist in der Schweiz gar nicht so einfach; die nach Deutschland bestellbaren SIMs haben entweder Mindestlaufzeit und Grundgebühr, oder mobile Daten in homöopathischer Dosis von 50 oder 100 MByte pro Tag. Das hat mir zugegeben vor zehn Jahren noch gereicht; im Jahr 2017 ist dieses Kontingent aber morgens schon vor dem Frühstück aufgebraucht.
Einziger, mir ins Gesicht springende Kandidat ist Lycamobile.ch, eine tatsächlich kostenlose Prepaidkarte, zu der man innerhalb von 30 Tagen zu verbrauchende 5 Gigabyte für 13 Stutz 90 hinzukaufen kann. Das ist so günstig, dass ich bezweifle, dass das Angebot ernst gemeint ist. Also eine Mail mit ein paar harmlosen Fragen ("Entstehen Zusatzkosten, kann man die Karte per Post nach Deutschland bestellen, kann man eine in der Schweiz gekaufte Karte als Kunde aus Deutschland ohne Schweizer Adresse freischalten") hingeschickt und zwei Wochen gewartet.
Keine Reaktion. Inzwischen finde ich raus, dass man diese Karte bei ebay für knapp zehn Euro bestellen kann, und laut der Produktbeschreibung beim Ebay-Artikel kann man sie dann über das Internet auf der Lycamobile-Webseite freischalten. Also gemacht.
Die Karte kommt zwei Tage später, mit dem Hinweis, man möge sich auf www.lycamobile.ch registrieren und die Karte dann freischalten. Dort gibt es aber diese Funktion nicht, und in der Dokumentation steht, dass man die Karte mit Ausweis beim Händler freischalten muss. Also beim Ebay-Händler nachgefragt, es kommt ein Textbaustein zurück. Ich möge das doch bitte auf der Webseite selbst erledigen. Also reiße ich die SIM-Verpackung auf, in der Hoffnung dort einen genaueren Link wie /freischaltung oder /registrieren zu finden.
Aber nichts. Nochmal beim Ebay-Händler nachgefragt, Diesmal schreibt er "die Registrierung der SIM ist nur in der Schweiz möglich". Genau das wollte ich ja verhindern, also flugs die Rückgabe der SIM ausgelöst und für die nächste Woche halt doch einen BC100-Kurztrip nach Basel angesetzt. Der Ebay-Händler schickt einen Rückumschlag. Der ist mit 70 Cent frankiert, was natürlich nicht ausreicht da alleine die SIM mit ihrem Umschlag 29 Gramm wiegt. Zähneknirschend also nochmal 15 Cent dazugeklebt - außer Spesen nichts gewesen.
Die Webseite hat praktischerweise eine Funktion zur Händlersuche - da sind vier oder fünf Händler direkt gegenüber vom Badischen Bahnhof gelistet, das kann ja nicht so schwer sein. Mit einem Zug hin und mit der Rückleistung direkt wieder Retour. So dachte ich mir das jedenfalls.
Heute geht es dann also mit S-Bahn und ICE zum Badischen Bahnhof nach Basel. Im Zug nochmal nach den genauen Adressen der Händler gesucht. Hm, jetzt sind plötzlich keine Händler mehr am Badischen Bahnhof, dafür aber um so mehr in dem Geschäftsviertel zwischen Messe und Rhein. Ok, machen wir halt einen Spaziergang zum nächstgelegenen Händler.
Der Bahnhof selbst ist immer noch so trostlos wie bei meinem letzten Besuch vor einigen Jahren. Der Zoll ist verschwunden; die Bahnhofsgastronomie firmiert unter dem Namen Garecon. Sehr lustig. Nach dem Besuch des Geldautomaten verlasse ich den Bahnhof.
Vodafone sendet mir nach dem Grenzübertritt eine SMS, dass ich für "günstige" EUR 5,95 pro Tag telefonieren und 100 MByte versurfen darf. Zum Glück hab ich das Datenroaming bereits ausgeschaltet. Da hat man mir wohl das "ReisePaket Plus" aufgedrückt, das ich direkt abends nach der Heimkehr ausschalte. Frechheit.
Doch zurück nach Basel, wo die Odyssee beginnt.
Der erste Händler, ein orientalischer Supermarkt, öffnet heute erst um 15.00 Uhr. Dummerweise ist gerade erst zehn durch. Und jetzt habe ich kein Internet mehr. Laufen wir mal blind weiter. Schon wenige Meter weiter sehe ich das nächste Lycamobile-Poster in einem indischen Supermarkt. Dort spricht man weder Deutsch noch Englisch, informiert mich aber radebrechenderweise, dass vielleicht um 11.30 Uhr derjenige kommt, der den hiesigen Lycamobile-Stand bedient. Ich denke mir, bis dahin hab ich die SIM sicher woanders gekauft.
Doch weit gefehlt. Hundert Meter weiter beginnt eine Fußgängerzone und es gibt weit und breit keinen Lycamobile-Händler mehr. Ich mache mich auf die Suche nach einem freien WLAN. Coop. "kein Internet". Migros "kein Internet". Dunkin Donuts "Like us on Facebook or create an account". Danke auch. Doch dann: Freifunk. Internet, aber laaaaaangsam. Zu langsam als dass die Lycamobile-Händlersuche mit der dahinterliegenden Google-Karte funktionieren würde.
Ich laufe nun ein wenig ziellos durch die Nebenstraßen, bis ich schließlich noch einen Freifunk-Hotspot finde. Dieser funktioniert sogar und ich merke mir die grobe Richtung in der das nächste Cluster von Lycamobile-Händlern zu liegen scheint.
Die ersten zwei haben ihre kompletten Schaufenster mit Lebara-Werbung zuegekleistert. Den einen Laden betrete ich noch um mich groß angucken zu lassen, als ich nach Lycamobile frage: "Lyca-Was?". Der zweite Laden hat zu. Der dritte, ein Asia-Supermarkt, hat überhaupt keine SIM-Karten. Nie gehabt, bedeutet man mir in gebrochenem Baseldütsch. Laden vier und fünf sind verrammelt, die machen so schnell nicht wieder auf.
Wir lernen also, dass die Händlersuche auf der lycamobile.ch-Webseite mit der Realität ungefähr so viel zu tun hat wie Dienstag mit einem Wochenende. Schade. Inzwischen ist der geplante Zug für die Rückfahrt längst abgefahren. Ein Glück, dass sich mein Nachmittagstermin inzwischen verflüchtigt hat.
Also schaunmermal, ob wir den Inder wiederfinden.
Auf dem Weg dorthin bemerke ich im Augenwinkel eines abgeranzten Ladens in der Hammerstraße ein Lycamobile-Logo. Der Laden sieht geschlossen aus; es ist aber die Tür offen und ganz hinten in der Ecke des (ehemaligen?) Friseursalons sitzt auch ein älterer Mann. Und er versteht, was ich von ihm will und gibt mir die Auswahl zwischen einer kostenlosen SIM oder einer für vier Franken mit fünf Franken Inklusivguthaben. Ich entscheide mich für letzteres, kaufe noch 20 Franken Extra-Guthaben ("Kredit" auf Schweizerschriftdeutsch) hinzu. Der Herr tippt die Daten meines Ausweises auf einer Lycamobile-Webseite ab und drückt mir schließlich die SIM in die Hand: "Bitteschön, sie sollte bereits funktionieren".
Ich setze mich - um 24 Franken ärmer - in dem Laden in die Ecke, hole Telefon, Router und Notebook heraus und probiere.
Das wegen des gegenüber aktueller Hardware kinderleichten SIM-Wechsels und des passenden SIM-Formfaktors mitgeführte Nokia 6230 bucht sich nach kurzer Wartezeit souverän ein, zeigt aber "Swisscom" an. Das Aufbuchen der Extra-20-Franken funktioniert problemlos. Dann wandert die SIM in den Router und die Sucherei geht los. "Kein Service".
Der Router möchte die Erlaubnis zum Roaming haben. Offensichtlich ist Lycamobile.ch in der Schweiz so aufgehängt wie es vistream in Deutschland war, da war das kleine "R" auch immer im Display. Nach dem Setzen dieses Hakens zeigt auch der Router an, im Swisscom-Netz eingebucht zu sein. Aber immer noch keine Daten. Ich tippe richtig auf die APN-Einstellungen, die natürlich in dem Lycamobile-Heftchen nirgendwo stehen. Ein herzhafter Klick auf "dynamic APN" im Webfrontend meines Huawei-Routers lässt dann die Daten fließen.
Als nächstes soll man sich den Zugang zu "Mein Lycamobile" holen. Dazu fordert man auf der Webseite einen "mobilen Code" an, den man sich entweder per Mail oder per SMS zusenden lassen kann. Ich entscheide mich für SMS und kopiere das Passwort aus dem Webfrontend des Routers in den Browser. Bzw, ich versuche zu kopieren, denn die Javascriptseuche beider Webseiten unterbindet das Kopieren.
Nun versuche ich mich mit dem "mobilen Code" anzumelden, was nicht gelingt. Nach einigen Minuten Doku-Lesen (immerhin funktioniert IP) fordere ich einen erneuten Code an und sehe nun einen Button "Fortfahren", den ich drücke. Den muss ich vorher übersehen haben, denn nun lande ich auf einer Webseite, auf der ich den mobilen Code eingeben und mir nun ein eigenes Passwort setzen kann. Flugs gemacht, und schon sehe ich meine Daten und mein Guthaben von 25 Franken. ich kaufe das 5-GB-Paket für 13,90, klicke auf "kaufen" und bekomme einen Timeout. Ein zweites Mal klicken endet in "Sie haben nicht genug Guthaben".
Währenddessen hat sich der Laden mit, äh, Subjekten der verschiedensten Hautfarben gefüllt; man spricht wild durcheinander in einem wilden Mischmasch aus Deutsch, Englisch und Französisch. Ich schnappe von Zeit zu Zeit mal den Namen einer Droge auf und überlege ernsthaft, die Flucht zu ergreifen.
Schließlich finde ich eine Art Account-Zusammenfassung, auf der ich die Aufbuchung von 25 Franken Guthaben und zweimal 13,90 Abzug und ein Restguthaben von 11,10 finde. Das Restdatenvolumen steht bei 123 Mbyte und ich hoffe, dass das nur das Gratisguthaben ist, das mit der SIM-Karte gekommen ist und meine 5 GByte dennoch korrekt aufgebucht wurden. Sonst habe ich während der Bahnreise sicher Spaß mit der Lycamobile-Hotline.
Mission Accomplished. Ich laufe zurück zum Badischen Bahnhof und boarde den dort bereitstehenden ICE in Richtung Berlin. Angesichts des doch etwas diesigen Wetters cancele ich den eigentlich geplanten Ausflug auf die Dreiseenbahn und entscheide mich zur Heimfahrt auf dem direkten Wege.
Nach der Rückkehr in Deutschland beschließe ich, zu schauen, ob ich das aufgebuchte Volumen von 5 Gigabyte inzwischen auch im Webfrontend sehe. Schon wieder mit der deutschen SIM im Router versuche ich den Login auf der Lycamobile.ch-Webseite, was misslingt. Mist.
Also spiele ich die "Passwort vergessen" Routine. Diesmal muss man die Nummer der SIM-Karte eingeben und erhält nun die Nachricht, dass ein neues Passwort "auf das Handy" geschickt wurde. Gut, also muss die SIM-Karte wieder in ein Endgerät. Die Wahl fällt erneut auf das gute alte 6230.
Dieses bucht sich diesmal erst mit mehreren Minuten Verspätung ein - ob das nun wirklich internationale Roaming daran schuld ist? Wer weiß. Jedenfalls zeigt das Telefon jetzt den Betreibernamen "lycamobile" an. Dann beginnt die im Roaming übliche Lawine von Begrüßungs- und Nachrichten-SMS, die durch die GPRS-Konfiguration und schließlich die in drei Teilen eintreffende Information über das neue Passwort ergänzt werden. Aber was heißt hier Lawine; die SMS kommen im Fünfminutentakt. Erst hinter Freiburg ist das neue Passwort für den Webzugang komplett und der Login gelingt. Nun versuche ich das Passwort wieder auf das in meinem Passwortsafe hinterlegte Passwort zu ändern und bemerke dabei, dass das im Passwort enthaltene Underscore-Zeichen in der Eingabebox (per Javascript?) stillschweigend ignoriert wird. Dasselbe wiederholt sich auch im "Passwort wiederholen" Feld, und nun weiß ich auch dass ich mein Passwort auch beim Login ohne Unterstrich hätte eingeben müssen. Gegenprobe positiv: Beim Login wird der Unterstrich im Passwort akzeptiert und das Passwort ist dann natürlich falsch. Helden.
Zusammengefasst war die Beschaffung einer Schweiz-SIM mit ernstzunehmendem Datenvolumen deutlich komplizierter und von mehr administrativen, praktischen und technischen Fallstricken begleietet als ich es ursprünglich erwartet hatte. Aber jetzt ist ja alles fein, bis auf dass ich immer noch nicht weiß, ob ich das Zusatzvolumen jetzt einmal oder zweimal bezahlt habe und ob ich es auch wirklich benutzen kann. Wir werden sehen.
Die oben erwähnte E-Mail-Anfrage an Lycamobile.ch ist übrigens bis heute unbeantwortet, nichtmal bei Twitter lässt sich Lycamobile.ch kitzeln. So servicewüstig wurde ich in der Telekommunikationsbranche lange nicht mehr ignoriert.
Weil ich keinen Sechsminutenübergang in Mannheim riskieren möchte, wähle ich den mit sieben Minuten späterer Ankunft daheim kaum weniger attraktiven Weg über Karlsruhe. 31 Minuten Aufenthalt an einem Bahnhof ohne Lounge werde ich ja wohl noch überleben. Und ja, richtig, beim Aussteigen dort fährt auf dem Nachbarbahnsteig der Vortakt "meiner" S-Bahn gerade aus. Ich verstehe ja die Widrigkeiten der Fahrplanerstellung, aber so ein pessimierter Nichtanschluß vom Fern- auf den Nahverkehr ist mindestens ärgerlich. Ich beschaffe mir ein Mittagessen; zum Glück steht der 425 des Folgetakts bereits bereit.
Am Abend kommen dann noch weitere SMS, unter anderem eine mit dem Namen des APN.
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