(fast) unkontrolliert durch Schweiz und Österreich
Bevor ich in Friedrichshafen im Hotel ins Bett falle, suche ich mir die für den Folgetag geplante Verbindung von Friedrichshafen nach Alp Grüm heraus und hinterlege sie im DB Navigator unter "meine Reise". Nach knapp sechs Stunden Schlaf klingelt der Wecker, der erste Griff geht zum Handy, und danach bin ich wirklich wach.
Denn dort leuchtet mir in Rot ein "Fahrt fällt aus" entgegen.
Ein paar Minuten später ist die Betriebslage klar: Der von Ulm kommende IRE, den ich zur Weiterfahrt nach Lindau benutzen wollte, hat ein technisches Gebrechen und deswegen +70. DB Regio legt einen Ersatzzug ab Friedrichshafen ein; dieser hat jedoch +15. Bei acht Minuten Übergang zum ÖBB-Zug in Lindau ein echtes Problem.
Der Ersatzzug kommt in Form eines einzelnen 611, und während ich mir noch Gedanken mache, wie lange ich nicht mehr mit dieser Baureihe gereist bin, stellt sich klar, dass es bei +15 nicht bleiben wird. Dass die Bodenseegürtelbahn eingleisig ist und man vor Abfahrt erst die Ankunft der RB aus Lindau um :50 abwarten muss, hätte der DB Navigator auch wissen können. Die Abfahrt erfolgt schließlich mit +23; die Ankunft in Lindau mit ähnlicher Verspätung. Auf dem österreichischen Gleis steht schon der auf den eigentlich geplanten Zug folgende Takt bereit, und ich steige ein.
Nun steht die Planung der Weiterreise an, denn die vorherige Planung ist - erneut - Makulatur. Ich entscheide, nicht wie geplant über Feldkirch zu fahren, sondern meinen Aufenthalt in Österreich durch Fahrt über St. Margrethen zu minimieren, so dass ich möglichst nicht mit einem ÖBB-Zugbegleiter diskutieren muss. Denn die Umfahrung der Baustelle Rastatt über Österreich und damit der Nutzung von Zügen einer an meiner über Basel ausgestellten Fahrkarte völlig unbeteiligten Bahnverwaltung ist mindestens grenzwertig. Nachdem klar ist, dass Chur mit einem Takt Verspätung erreicht werden wird, schreibe ich das vierte Fahrgastrechteformular dieser Woche.
Die Fahrt mit dem Doppelstockzug nach Bregenz, größtenteils in Sichtweite des Bodensees verläuft ohne weitere Vorkommnisse, auch das Umsteigen in den 4024 nach St. Margrethen geschieht problemlos. Meine Fahrkarte bleibt unkontrolliert. Vodafone informiert mich per SMS, dass ich "sorgenfrei" das Datenroaming aktivieren kann, denn in Österreich ist mein Tarif wie in Deutschland nutzbar.
In der Schweiz ist das leider nicht so, und mir fällt dabei auf, dass ich kein Werkzeug dabei habe, um in meinem Daten-Telefon die SIM zu wechseln. Bei dieser Gelegenheit kann ich Euch gerne berichten, dass Android im Hotspot-Modus einen besseren Mogelfunk-zu-WLAN-Router abgibt als alle drei Spezialistengeräte (Huawei, Huawei und ZyXEL), die ich zuvor für diesen Zweck benutzt habe.
Beide Staatsgrenzen überschreite ich übrigens, ohne dass sich jemand für mein Gepäck oder meine identität interessiert. Es ist auch niemand sichtbares da, der sich interessieren könnte.
In St. Margrethen habe ich eine starke halbe Stunde Zeit, die ich zur Beschaffung von Fränkli und einem Kurzeinkauf im Migrolino (Schokoweggeli) verwende. Der nette Herr am SBB-Fahrkartenschalter leiht mir eine Büroklammer, die mit ein wenig Kraft zum Entriegeln des SIM-Karten-Slots meines Daten-Telefons ausreicht. Danach bin ich wieder online.
Auf der im Frühjahr beschafften SIM von Lycamobile.ch habe ich noch knapp über zehn Franken Guthaben. Das 2-GB-Paket kostet 9,90, das 5-GB-Paket 13,90, so dass ich - schon zuhause - gerne fünf Franken nachlegen wollte, damit mir während des Schweizaufenthalts das Datenkontingent nicht ausehen möge. Das scheitert daran, dass die Webseite von lycamobile (die zusammen mit dem Lenovo-Shop locker in die Top 5 der unbenutzbarsten kommerziellen Webseiten meiner Filterblase gehört) beide Kreditkaten nicht akzeptieren mag. Egal, lycamobile-Guthaben kann man in der Schweiz auch im Coop erwerben, buchen wir halt erstmal die 2 GB und entscheiden dann am Ort, ob wir nochmal nachlegen müssen.
Mit einem Stadler KISS geht es dann weiter in Richtung Chur. Auch hier interessiert sich niemand für meine Fahrkarte, so dass ich schon ein wenig durchatme, als Sargans und damit erstmals der eigentlich gebuchte Reiseweg erreicht wird. Inzwischen habe ich entschieden, dass der Aufenthalt in St. Margrethen zur Beschaffung Schweizer Lebensmittel ausreichend war und streiche den eigentlich geplanten einstündigen Aufenthalt in Samedan.
Der Zug von Chur nach St. Moritz ist einer der neuen Gliederzüge, mit einer Allegra bespannt. Ich suche mir ein gemütliches Plätzlichen im Triebwagen; Ankunft pünktlich. Die Allegra ist in der Dauerleistung unter Wechselstrom stärker als die in den 90ern beschafften Ge 4/4 III, deren Domäne die Schnellzüge von Chur nach St. Moritz eigentlich sind. Und in der Zugkraft stellt die Allegra mit 280 kN die Ge 4/4 III mit ihren 170 kN deutlichst in den Schatten. In diesem Zug interessiert sich dann auch erstmals jemand für meine Fahrkarte. Dann noch der kurze (und eine Stunde einsparende) Hüpfer nach Pontresina, der obligatorische Marsch durch die Unterführung und wieder eine Allegra auf den Berg.
Ich bekomme ein Zimmer mit Streckenblick in beide Richtungen, entfalte mich erstmal im Zimmer und nutze dann die spärlichen Sonnenstrahlen um mich noch etwas auf die Terrasse zu setzen. Leider wird das die letzte Gelegenheit zum Sitzen auf der Terrasse bleiben, denn das Wetter ist herbstlich-durchwachsen.
Als ich nach dem Abendessen mein Zimmer betrete, ist es in hellen Lichtschein getaucht: An der bergwärts führenden Galerie wird gebaut, und das natürlich nachts. Denn tagsüber fahren ja die Züge. Immerhin haben sie nichts lautes vor. Gute Nacht.
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