Brillenstatus - Das Update II
Die Fortsetzung des Artikels von gestern
Meine erste Prismenbrille habe ich im Sommer 2006 bekommen. Meine Winkelfehlsichtigkeit ist eine Esophorie, das bedeutet, das die Augen lieber "nach innen" stehen als so parallel, wie sie stehen sollten. So etwas korrigiert man mit einem Prisma "Basis Außen". Dabei hat man quasi freie Hand, die notwendige Prismenstärke beliebig auf beide Seiten zu veteilen. Im Interesse einer vernünftig aussehenden Brille wird man höhere Prismenstärken natürlich immer zu gleichen Teilen verteilen, aber wenn es beispielsweise nur um eine Prismendioptrie geht und man noch nicht genau weiß, wie gut man das Prisma verträgt, kann man durchaus nur auf einer Seite das (teure) Prismenglas einbauen.
Wo wir gerade beim Preis für Prismenbrillen sind: Ein leichtes Prisma kostet einen mittleren zweistelligen Aufpreis pro Glas. Das klingt in erster Näherung jetzt gar nicht so schlimm, aber man kann ein Prisma nur zu "richtigen" Markengläsern hinzubestellen. Im unteren Preissegment ("Angebotsgläser", "Lagergläser") geht das nicht. Und schwupps, kostet die Brille plötzlich fünfhundert statt zweihundert Euro.
Meine erste Prismenbrille war eine Eschenbach-Titanflexfassung mit insgesamt sechs Prismendioptrien in mineralischen Gläsern von Rodenstock. Diese Brille habe ich ein Jahr lang getragen, bevor dann erneut gemessen wurde und plötzlich 16 Prismendioptrien notwendig waren.
Die zweite Prismenbrille hat demnach denn 16 Prismendioptrien bekommen, diesmal in bruchstabilen Kunststoffgläsern von Essilor. Als Fassung hatten wir eine blaue Nike-Metallfassung mit Silikonbügeln und einem Magnetsonnenclip gewählt. Die Fassung kam in meinem Freundeskreis so gut an, dass Sandra innerhalb eines Jahres zwei weitere Fassungen aus dieser Kollektion an Freunde verkauft hat. Mit 16 Prismendioptrien sieht man das Prisma schon deutlichst, wenn man auf die Brille schaut: Außen sind die Gläser über einen Zentimeter dick, wenn man Gläser mit "normalem" Brechungsindex nimmt, so dass wir uns für höher brechende Gläser mit Brechungsindex 1,67 entschieden haben.
Die Nike-Brille habe ich bis 2011 getragen. Mit 16 Prismendioptrien merkt man die Auswirkungen des Prismas im täglichen Sehen schon deutlich: An einem Prisma tritt die sogenannte prismatische Farbzerlegung auf. In der Praxis sieht man quasi an jedem Schwarz-Weiß-Übergang einen kleinen Regenbogen, und zwar bei gleichmäßiger Verteilung der Prismen auf beiden Seiten auf der einen Seite "sorum", auf der andern Seite "andersrum". Das Ergebnis ist abhängig von der Leuchtquelle irgendwo zwischen "Unscharf" und "Unbrauchbar".
"Unscharf" wirkt sich hauptsächlich bei der Arbeit am Rechner aus: Man braucht halt einfach einen größeren Font. Das hat auf dem 4:3 T60 dazu geführt, dass keine zwei 80-Zeichen-Shells mehr nebeneinander gepasst haben. Durch die Anschaffung eines T60 Wide hat sich das dann wieder ausgeglichen. "Unbrauchbar" trat glücklicherweise fast nur bei solchen LED-Werbetafeln auf, wie man sie beispielsweise am Röser-Haus am Karlsruher Mendelssohnplatz, auf dem Turm am Stuttgarter Pragsattel oder auf der südlichen Spreeseite auf der Bahnfahrt zwischen Jannowitzbrücke und Ostkreuz in Berlin sehen kann. Das Lesen von Büchern war auch mit der Prismenbrille immer uneingeschränkt möglich - schließlich lag mein Visus auch mit dem Prisma bei 1,2 (ohne Prisma, aber mit sphärischer/zylindrischer Korrektur bei 1,6).
Bei einer so starken prismatischen Korrektur tritt natürlich auch ein Gewöhnungseffekt in Form von Doppelbildern ein, die man wahrnimmt, wenn man versucht ohne Brille in die Ferne zu gucken. Es tritt also eine gewisse Abhängigkeit von der Brille auf, die allerdings nicht so schlimm wie bei stark kurzsichtigen Menschen ist. Und in meinem Fall konnte ich ohne Brille scharf in der Nähe und ohne Doppelbilder sehen; erst ab einer Entfernung von ca. drei Metern habe ich die Doppelbilder durch konzentriertes Hingucken nicht wieder weg bekommen.
Die Nike-Brille habe ich lange getragen. Wir haben regelmäßig nachgemessen, und ich hatte immer noch stets die Tendenz zu "mehr", wobei sich die Meßergebnisse bei 20 Prismendioptrien eingependelt hatten. Und als ich denn im Jahr 2011 die Nase voll von der Nike-Brille hatte, musste eine neue her. Von Sandras Refraktionslehrer aus der Meisterschule hatten wir inzwischen gelernt, dass es von Hoya ein mit 1,71 noch stärker brechendes Glas gibt, dessen Abbe-Zahl besser ist als die aller anderen Gläser dieser Brechstärke am Markt. Da war ich dann ganz besonders scharf drauf, denn ich fand es schon etwas seltsam, eine Brille zu tragen, um dann schlechter zu sehen als ohne.
Meine dritte Prismenbrille bekam dann auch diese 1,71er-Hoya-Gläser, diesmal mit 20 Prismendioptrien in einer etwas auffälligeren Metallfassung von Lightec. Diesmal wollte ich es wissen, und bestellte die Gläser mit der besten und teuersten Beschichtung (Superentspiegelt, Hartschicht, Antistatik, Lotuseffekt, Chili und scharf). Leider wurde der Unscharf-Effekt trotz der guten Abbe-Zahl bei den 1,71-er Gläsern mit 20 Prismendioptrien doch noch einmal stärker als mit den 1,67er-Gläsern mit 16 Prismendioptrien in der Vorgängerbrille.
Erschwerend kam dann noch hinzu, dass mein neues T520 mit dem 1920x1080er-Display im Zusammenhang mit meinen starken Prismen leider eher in die Kategorie "unbrauchbar" gefallen ist. Eine so krasse Unschärfe bei aufgesetzter Prismenbrille habe ich außer bei meinem T520 nur bei zwei Displaybaureihen bei syscovery erlebt. Im Vergleich zu anderen Displays war das ein Unterschied wie Tag und Nacht, der dazu geführt hat, dass ich die Brille bei der Arbeit am Notebook eigentlich immer ofter abgesetzt gelassen habe, was natürlich nicht im Sinne des Erfinders ist. Und prompt kamen auch die Kopfschmerzen wieder - zwar nicht mehr so oft wie früher, aber so ein-, zweimal im Monat musste es dann doch wieder die Ibuprofen-Pille sein. Ob das "Weiß" eines Displays mit LED-Backlight so krass anderes zusammengesetzt ist als das "Weiß" aus einem konventionellen Displays mit Kaltlicht-Backlight ist? Aber andererseits hätte ich dann doch bei mehr Displays als nur bei diesen drei Stück diese großen Probleme bekommen müssen - denn LED-Backlight ist jetzt ja nun nicht mehr ein Feature, das nur dem "Rechts-Unten-Modell" vorbehalten ist.
Aber auch nach Anschaffung der Lightec-Brille blieben meine Prismenwerte in der Größenordnung von 20 Prismendioptrien mit Tendenz zu "etwas mehr", aber das Ende der Fahnenstange war erreicht. Welch ein Glück, denn Gläser mehr mehr als zehn Prismendioptrien sind nicht mehr von allen Herstellern erhältlich, auch Hoya stellt das 1,71er Glas mit dieser guten Abbezahl nicht mehr her. Viel mehr als 20 Prismendioptrien kann man mit einer Prismenbrille nicht mehr korrigieren.
Es wurde also Zeit, sich mal wieder einem Augenarzt vorzustellen. Doch darüber bald mehr.
Comments
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Andreas Krey on :
Ich vermute, es kommt beim 'unbrauchbar' auf die spektrale Zusammensetzung des Weiß an. Und in dieser Situation würde ich mal probieren, die Terminals auf gutes altes grün-auf-schwarz zu setzen, da gibt es keine Farben zum Säumen.
Marc 'Zugschlus' Haber on :
Zu spät, ich brauche die Prismenbrille nicht mehr - siehe auch den Artikel von heute.
Thilde on :
Schon faszinierend, was du dir an Wissen angeeignet hast. Willst du nicht als Externer auch die Prüfung ablegen?
Marc 'Zugschlus' Haber on :
Welche Prüfung?