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Es ist vorbei

Nachdem nun vier Wochen lang Ausnahmezustand in diesem Land geherrscht hat, darf nach dem Ende der Fußball-WM endlich wieder Normalität einkehren. Die omnipräsenten Flaggen werden wieder in der Versenkung verschwinden und es gibt endlich wieder ein Gesprächsthema, das nicht "Fußball" heißt.

Nicht unstolz bin ich darauf, dass in diesem Blog die WM kein Thema war, sie wurde komplett totgeschwiegen.

Sehr traurig finde ich, dass vom eigentlichen Sport noch weniger übriggeblieben ist wie bei anderen fußballbasierten Großereignissen. Den Rummel vergleiche ich mit Weihnachten, bei dessen Kommerzialisierung der eigentliche Grund des Feierlichkeiten, das christliche Fest der Liebe, kaum mehr erkennbar ist.

Die Fans kamen dank der rigiden Vergabe von Eintrittskarten zu Gunsten der Sponsoren nicht in die Stadien, und die wenigen, die doch noch eine der sicher nur aus Versehen in den freien Verkauf gelangten Karten ergattern konnten, durften teilweise in der Unterhose ins Stadion, weil die getragenen Hosen den Sponsoren nicht in den Kram gepasst haben.

Die wirklichen Fans wurden ins Public Viewing abgeschoben, das während dieser WM eine viel größere Rolle gespielt hat als bei den vergangenen Veranstaltungen. Das wiederum führte dazu, dass es regelmäßig Verkehrschaos auch in den Städten gab, die nicht Austragungsort eines Spiels waren - große Bereiche der Innenstädte abgesperrt mit Zugangskontrollen, die peinlich darauf geachtet haben, dass man keine unerwünschten Gegenstände mit sich führte. Ob das wohl den Umsatz der Getränkestände an den Public-Viewing-Orten wie gewünscht angekurbelt hat? Man darf gespannt sein, ob in Zukunft Eintritt verlangt werden wird. Erfolgreich war der Testballon ja schonmal.

Der Spielplan war auch mein ständiger Begleiter - aber nur, um abschätzen zu können, _wann_ man wo besser nicht hinfährt, weil mit "SCHLAAAAND!" brüllenden Besoffskis oder die Verkehrsregeln Verkehrsregeln sein lassenden, laut hupenden und überladenen verrückten Autofahrern in Massen zu rechnen war. An den Autocorsos besonders pervers fand ich, dass die Polizei grinsend daneben steht und gemeingefährliche Dinge, wie in den offenen Fenstern sitzende Menschen, einfach geschehen lässt. Bahnreisende durften zugucken, wie "Fans" nagelneue Fahrzeuge regelrecht eingeäschert haben. Zahlen tut die Reparatur der Fahrgast. Recht schönen Dank.

Da sind Millionen aus der Öffentlichen Hand, und damit auch aus meinen Steuern, in Subventionen für "Sport"stätten und andere Umbauten geflossen, um Sponsoren, Funktionäre und Spielunternehmer noch reicher zu machen, während gleichzeitig die Politik darüber nachdenkt, wie man die Bürger noch mehr ausnehmen kann.

Wieviele Kröten beim Schutz persönlicher Daten und der privaten Sphäre wir dank der WM werden schlucken müssen, werden wir in den nächsten Monaten erst sehen - bei der flächendeckenden Überwachung der Spielstätten durfte die Schnüffeltechnik zeigen, was sie kann, und was technisch erwiesenermaßen möglich ist, wird auch eingesetzt. Schaunmermal, wie viel näher wir Orwells 1984 durch dieses "Sport"ereignis gekommen sind.

Aber selbst der "Sport" war diesmal seltsam - schließlich wurde eine der wichtigsten Schlachten nicht auf dem Feld geschlagen. Da wurde ein Mitglied einer Mannschaft vor dem Halbfinale gesperrt, weil in einer Zeitung im Land des Gegners stand, er hätte nach dem vorhergehenden Match einem der dortigen Gegner auf die Schnauze gehauen. Dass selbst das Opfer der Tätlichkeit aussagte, er hätte nichts gespürt, reicht nicht: Die Mannschaft musste ihre Zusammensetzung ändern, das Match ging verloren. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr das nennt, aber "Sport" ist das nicht.

Zu denken gegeben hat mir auch, dass zumindest in meiner Wahrnehmung deutscher Patriotismus immer noch mit einem Geschmäckle behaftet ist. Ob das nun an den aktuellen rechtsradikalen Tendenzen dieses Landes oder an einem finsteren Kapitel der deutschen Vergangenheit (in der allerdings die Farben schwarz-rot-gold nicht in Verwendung waren) zu tun hat, weiß ich nicht, aber wenn Leute in deutsche Faggen gekleidet durch die Stadt rennen oder sich schwarz-rot-goldene Flaggen ans Auto machen (gerne auch bei zunehmendem Alkoholspiegel oder abnehmender Intelligenz verkehrt rum montiert), tendiere ich zu einer hochgezogenen Augenbraue. Wie schön, dass es in Deutschland eher üblich ist, die Flagge des Bundeslandes oder der Kommune zu zeigen als die der Republik. Gefällt mir einfach besser.

Völlig daneben find' ich - auch im Scherz ausgesprochene - Aufforderungen oder Aussagen, Italien als Urlaubsland oder italienische Gaststätten zu boykottieren, weil Italien Deutschlands Weg zum Sieg blockiert hat und dann auch noch selbst gewonntn hat. Hallo? Geht's noch? Verlieren gehört dazu, und dass jetzt viele Leute ein Staatsdrama daraus machen, dass es für die Deutsche Nationalmannschaft nur bis ins Halbfinale gereicht hat, macht mich verständnislos. Der dritte Platz eines solchen Turniers ist eine ziemlich gute Leistung für eine Mannschaft, die im Vorfeld der WM mehr als einmal belächelt wurde. Mich persönlich hat das trotz allem Desinteresse ziemlich beeindruckt.

Ebenso ziemlich beeindruckt hat mich, wie dieses "Sport"ereignis das Deutsche Volk zusammengeschweißt hat: Da wurde zu Zigtausenden gemeinsam gefeiert und getrauert, und Leute, die sich sonst nicht mit der linken Arschbacke angucken würden, liegen sich in den Armen. Das ist schon ziemlich seltsam, dass es so ein Ereignis braucht, bis so ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Andererseits füllt es mich mit Befremden, dass die hochbezahlten Mitglieder der Mannschaft als "unsere" Jungs hochstilisiert werden, dass man sich geradezu mit denen verbrüdert, obwohl wir sicher alle mit den Mannschaftsmitgliedern weniger gemeinsam haben als mit dem Obdachlosen um die Ecke, den wir bestenfalls ignorieren, wenn er uns das nächste Mal fragt, ob wir "mal 'nen Euro" für ihn haben. Die, die im Halbfinale standen, gegen Italien verloren und schließlich gegen Portugal gewonnen haben, sind "Deutschland" oder "die Deutsche Nationalmannschaft", aber doch nicht "wir", oder? Das Team hat keine 80 Millionen Mitglieder. Immerhin hat Deutschland es geschafft, mit der WM wenigstens einen Teil seines internationalen Nörgelimages loszuwerden. Nun, dazu habe ich sicherlich nicht beigetragen.

Die Welt zu Gast bei Freunden. Schön, dass es vorbei ist. Bitte möglichst lange bis zum nächsten Mal warten. Und wenn es das nächste Mal passiert, bitte darauf achten, dass vom "Sport" noch etwas übrig bleibt und nicht komplett hinter Kommerz und Kungelei untergeht.

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Comments

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dyfa on :

Du hast vollkommen recht. :-) Bloß eins wird mir fehlen. Die gähnende Leere in der Stadt (im Schwimmbad, im Supermarkt) wenn gerade ein Spiel läuft.

kju on :

Und ich hatte ihn schon ausgestorben geglaubt - nach einer phänomenalen WM und Wochen voll schöner Momente (trotz aller FIFA-Gängelei), feiernder Menschen und hervorragender Stimmung in diesem Land: Den deutschen Miesemichel, der auf seinem Sofa sitzt, und der Welt um ihm herum übel nimmt.

Übrigens, die Wahrheit zum Frings-Fall: "[FIFA-Sprecher] Siegler unterstrich, dass die entsprechenden Bilder der Fifa auch nicht von italienischen Medien zugespielt worden seien. Sie seien vielmehr von einem öffentlich-rechtlichen Kanal in Deutschland gezeigt worden." (Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/news/wm2006/641813.html).

larf on :

Zum Thema Kartevergabe: hast du selbst Tickets bestellt? Ich habe jedenfalls einen Bekannten, der 6 der 7 Deutschland-Spiele live im Stadion gesehen hat und die Karten ganz regulär als Privatmann über die FIFA bekommen hat. Da mag zwar sicherlich auch Glück dabei sein, aber es ist definitiv keine Unmöglichkeit gewesen, als Privatperson Karten für sein Wunschspiel zu bekommen.

Die Kritik am "Public Viewing" ist mir auch etwas schleierhaft. Was ist so schlimm daran, einheimischen und zugereisten Fans einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem sie das Spiel sehen können und an dem Getränke käuflich zu erwerben sind? Sicherlich, man hätte auch einfach die Innenstädte nutzen und Freibier ausschenken können, dann wäre die ganze Party sicherlich viel lustiger geworden....

daFux on :

Die Kritik am “Public Viewing” ist mir auch etwas schleierhaft.

Zumindest ist in Berlin der Tiergarten "eigentlich" ein Erholungsgebiet, man hatte aber offenbar kein Problem damit, das zu einem großen Teil für sechs Wochen einzuziehen, wo die Erholungssuchenden stattdessen hingegangen sind, wissen sie nur selber.

Daß der Tiergarten dabei außerdem noch unter einem Harnsäureeintrag litt, gegen den die letzten 15 Jahre Loveparade zusammen ein Scherz sind - nunja, das spricht mehr gegen die Menschen, die zu sowas hingehen, ein Grund mehr, sich fernzuhalten.

larf on :

Das will ich ja auch alles nicht bezweifeln oder schönreden, nur ist das Public Viewing nicht der Auslöser dafür, dass Menschen keine öffentlichen Toiletten nutzen und an Bäume pinkeln. Ich weiss jedenfalls von der Veranstaltung in Gelsenkirchen, dass dort ausreichend saubere Dixi-Klos aufgestellt wurden

Ich bin auch kein Fan von Massenansammlungen mit besoffenen Vollidioten, aber durch das Public Viewing wurde die ganze Situation IMHO um einiges entschärft, da die Leute (und das waren ja teilweise bis zu 1.000.000) nicht in der ganzen Stadt herumhingen.

daFux on :

Selten warst Du mir sympathischer als heute :-)

In Deiner Sammlung fehlen noch die mehr oder weniger umgänglichen Arbeitskollegen, die plötzlich ins denkbefreite Wir-Hurra-Gefühl fallen; Leute, die sechs Stunden lang gröhlend am Straßenrand stehen können, bei jedem Auto mit Alarmbeflaggung winken und damit Gehupe provozieren und das dann "feiern" nennen; und natürlich das blanke Unverständnis darüber, daß es Leute mit abweichender Meinung gibt.

Und last but not least: Daß die fifa ihre Einnahmen (man sagt 1,7 GEUR) steuerfrei mitnehmen darf, während die verprochenen Umsätze durch die Besucher doch geringfügig geringer ausfielen als vorher laut angepriesen wurde.

Hans Bonfigt on :

Schade.\nIch wäre gern der Erste gewesen, der zum allererstenmal "AOL", "ME TOOOO" etc.\ngeschrieben hätte. Und wie froh ich erst bin, daß mir die gröhlende Asozialen-Krätze in kleinen,\naber feinen Deisenhofen weitestgehend erspart geblieben ist. Leider habe ich im hannoveraner\nHauptbahnhof weitaus seltener das Glück, die samstäglichen Bundesligaprimaten zu meiden.\n\nUnd wenn Michael meint, endlich habe er ihn wiedergefunden, den "deutschen Miesepeter":\nADD ME, PLEASE ADD ME. Ich will nämlich gar nicht bestreiten, daß bei einer bestimmten\nBevölkerungsgruppe eine "super Stimmung" geherrscht hat. Aber genau dieser vermaledei-\nten, gröhlenden, prügelnden, pissenden Krätze wünsche ich keine gute Stimmung, sondern Pest\nund Krebs an den Hals mit allen Metastasen.\n\nGenau das gröhlende Pack nämlich, das im Vollrausch Schwarz-Rot-Gold beschreit, ist\nim Haptberuf Schmarotzer und Betrüger und verhält sich damit unpatriotisch asozial.\n\nIch weiß wirklich nicht, was widerlicher ist: Der 16jährige Brasilianer, der in vierter Generation\nin den Favelas haust und nur ein Mal pro Jahr\nein "glücklicher Brasilianer" ist, wenn "seine"\nMannschaft bei irgendeiner Meisterschaft gewinnt oder ein verfetteter, heruntergekom-\nmener Ruhrpotthartzer, der ja viel lieber Türken vergasen würde, wenn man ihn nur ließe.\nSo sitzt er ungewaschen und stinkend im schreiend bunten Anzug aus Fallschirmseide\nherum und säuft sich leider viel zu langsam kaputt.\n\nWelch' unerwarteter Gleichklang der Herzen - denn da fragt sich nicht nur Aleks Stielau,\nwas jetzt die armen Kleingartenbesitzer wohl machen, die sich ihrer Originalität beraubt sehen -\numrüsten auf die schwarz-weiß-rote Kriegs-\nflagge ?\n\nHinweis an Michael:\nZieh' da ganz schnell weg aus Gelsenkirchen. Es ist schon wirklich bedenklich, daß Du nicht mehr\nzu unterscheiden in der Lage bist zwischen "ausgelassener, fröhlicher Stimmung" und\npenetrant-verkniffener, proletarischer Massenhysterie.\n\n\nGruß Hans

kju on :

Woher willst Du eigentlich wissen, daß es eine "penetrant-verkniffene, proletarische Massenhysterie" war? Du warst ja gar nicht hier. Und nach Deinen Worten hast Du Dich auch anderen Orten des Geschehen ferngehalten. Du beurteilst also die WM aus der Ferne und ohne sie wirklich erlebt zu haben. Vielleicht hättest Du Dich einfach mal in die Menschenmassen begeben sollen, dann wären Dir nämlich all die schönen Seiten aufgefallen, und eben nicht nur die unangenehmen Randerscheinungen die man so bemerkt, wenn man sich nur am Rande oder außerhalb des Geschehens aufhält.

Weisst Du was, Hans: Du bist einfach nur noch ein grantelnder, verbohrter und ewig miesgelaunter Muffelkopf im Konflikt mit z.B. Bahn AG, allen Mitmenschen und der Welt im Allgemeinen der mit seinen eloquent gestelzten Hasstiraden völlig ungefragt die Kommentarfunktionen diverser Weblogs zumüllt und bei den Betreibern derselbigen für entsprechende Entnervung sorgt. Wenn das Deine Lebensaufgabe ist, dann will ich Dir nicht im Wege stehen. Aber hör doch bitte auf, Deine eigene miese Stimmung auch noch auf alle anderen übertragen zu wollen.

Von meiner Seite: EOD.

Marc 'Zugschlus' Haber on :

Zu "völlig ungefragt": Die Kommentarfunktion dieses Blog steht jedermann offen, man muss mich nicht fragen ob jemand etwas kommentieren darf - denn dafür ist die Kommentarfunktion ja da.

Auch bin ich nicht entnervt über Hans' Teilnahme. Im Gegenteil: Ich freue mich darüber, dass mein Blog gelesen wird.

In diesem Sinne, kju, schließ' bitte nicht von Dir auf andere Blogger.

Hans Bonfigt on :

Ach, Michael.\nErstens: Leider, LEIDER konnte ich diverse Be-\nsuche in NRW nicht vermeiden. Und leider\ngehörten auch Hagen und Gelsenkirchen dazu.\nUnd dummerweise haben wir da auch noch zwei\nKunden, die gottseidank AIX einsetzen, sodaß\nich da nur ganz, ganz selten hinmuß.\nIn den letzten zwanzig Jahren habe ich vielleicht\n100 Tage dort zubringen müssen und kann nur\nzusammenfassend eins sagen: KOTZ.\nDagegen ist selbst Essen der reine Quell aller\nFreuden.\n\nJetzt geh' 'mal schön zum MENSA - Checkup\nund laß' Dein Logikmodul justieren. Wenn ich\nin Ort A weitestgehend verschont blieb, dann bedeutet das gerade gar nicht, daß ich nicht\nin C, D und E andere Erfahrungen gemacht habe.\n\nÄh, und dann:\nEs ist mindestens peinlich, woanders ungefragt\nden Hausmeister zu machen. Ungefähr genau so\npeinlich wie lokalpatriotismusbedingte Blindheit.\n\nGruß Hans,\nder auch schon das Vergnügen hatte, eine\nfreundliche, fröhliche, ausgelassene Stimmung\nzu erleben - vorwiegend freilich nicht in\ndeutschland.

kju on :

Ein Tip dann doch noch: Zieh' doch Du ganz schnell mal nach Gelsenkirchen, oder in eine andere Stadt des Ruhrgebiet. Dann kannst Du mal Deine krankhaft übertriebenen Vorurteile einem Realitätsabgleich unterziehen. Dein Bild des Ruhrgebiets hat jedenfalls so viel mit der Realität zu tun, wie Dein übriges Geseiere: So gut wie gar nichts.

thilde on :

Nicht unstolz bin ich darauf, dass in diesem Blog die WM kein Thema war, sie wurde komplett totgeschwiegen.

Ach komm - da gibt es Besseres, auf was du stolz sein könntest. Ist ja nicht so, dass es dich übermenschliche Anstrengungen gekostet hat, hier nix über die WM zu schreiben, oder?

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