Von Mannheim zu den Sternen - Professor Heinz Haber wird 100
Wie Ihr vielleicht wisst, war Professor Heinz Haber, der in den 1960ern, 1970er, und 1980ern im Deutschen Fernsehen zum Thema Wissenschaft sehr präsent war und der sogar ein paar Bestseller geschrieben hat, mein Vater.
Am 15. Mai 1913 geboren, wäre er heute einhundert Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Jubiläums gibt es im Planetarium Mannheim eine kleine Ausstellung mit Gegenständen aus seinem Nachlass. Diese Ausstellung wurde gestern festlich im Beisein von Bürgermeister Grötsch, dem Chefredaktur von bild der wissenschaft, Wolfgang Hess, und etlichen meiner Verwandten, festlich eröffnet.
Heute abend ist im Karl-Friedrich-Gymnasium Mannheim, wo mein Vater sein Abitur gemacht hat, ebenfalls eine Veranstaltung zum Gedenken an meinen Vater.
Während meine Schwester Cathleen heute abend im KFG ein paar private Worte sagen wird, hatte ich gestern abend die Ehre, im Kuppelsaal des Mannheimer Planetariums ein paar Geschichten über meinen Vater erzählen zu dürfen.
Wer sich dafür interessiert, was ich gestern gesagt habe, darf auf "Weiter" klicken und mein Manuskript lesen. Ich habe mich während der Veranstaltung ein bisschen kürzer gefasst als geplant, aber hier veröffentliche ich das, was ich sagen wollte.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Dr. Theis,
liebe Mannheimer,
liebe Familie,
liebe Freunde,
liebe Frau Umland, liebe Frau Langer, lieber Herr Gross,
meine Damen und Herren,
Professor Heinz Haber wird hundert. Das ist ja nun an sich gar nicht so bemerkenswert, hätte er selbst gesagt, denn die Zeit läuft weiter, ob wir wollen oder nicht.
Bemerkenswert ist allerdings, dass wir uns hier im Planetarium in Mannheim zusammengefunden haben, um Heinz Habers hundertsten Geburtstag gemeinsam zu feiern und uns an einen herausragenden Wissenschaftler, Autor, Visionär, Fernsehmacher, einen liebevollen Ehemann, Onkel und nicht zuletzt einen tollen Vater zu erinnern.
Mein Name ist Marc Haber, Heinz Haber war mein Vater, und ich war in den 1970ern und 1980ern vermutlich das einzige Kind und der einzige Jugendliche mit Aufenthalt nördlich der Elbe, der wusste, dass Mannheim gerne ein neues Planetarium haben möchte. Meine Aufgabe ist es heute, ein paar Geschichten aus dem Leben meines Vaters persönlich anzureichern und zu erzählen.
Liebe Frau Umland, Ihr Vortrag vorletzte Woche an der Abendakademie hat mir sehr geholfen, den meinigen heute Abend mit Inhalten zu füllen. Welcher Sohn hat schon den Luxus, sich zwei Stunden lang einen wissenschaftlich erarbeiteten Vortrag über das Leben des eigenen Vaters anhören zu dürfen! Was ich Ihnen heute mitgebracht habe, kommt aus meiner Erinnerung und ist damit nicht wissenschaftlich nachweisbar. Dafür bitte ich um Entschuldigung.
Wie Sie alle sicher wissen, hat Heinz Haber die theoretischen Grundlagen für den Parabelflug ausgearbeitet, der heute dazu benutzt wird, um Astronauten für die Arbeit in der Schwerelosigkeit auszubilden.
Es gab in der ersten Zeit genau einen Piloten, der in der Lage war, die Parabel genau genug zu fliegen, damit die Schwerelosigkeit in der Kabine gelingt. Mir wurde erzählt, dass dieser Pilot eine im Cockpit in die Luft gehaltene und losgelassene Zigarettenschachtel als Hilfsmittel benutzte: Bleibt sie an derselben Stelle in der Luft, ist der Flug gut.
Um mehr Parabeln fliegen zu können, hat mein Vater seinen Bruder Fritz in die USA hinterher geholt. Er schickte also ein vage gehaltenes Telegramm nach Deutschland und bat seinen Bruder, in die USA zu kommen, was dieser vc dann auch tat.
Am Flughafen angekommen, war der erste Satz, den Fritz zu Heinz sprach: „Du möchtest also eine Parabel fliegen.“ Die zwei wussen sehr gut, wie man miteinander kommuniziert, ohne wirklich zu sprechen, und Fritz baute dann ein Instrument, das auch weniger talentierten Piloten anzeigen konnte, in welche Richtung der Flug korrigiert werden muss, damit die Parabel passt.
1995 kam dann der Film „Apollo 13“ mit Tom Hanks und Gary Sinise in die Kinos. Die in der Raumkapsel spielenden Szenen wurden in Zwei-Minuten-Häppchen während Parabelflügen gedreht. Und Sie können mir glauben, als ich aus dem Kino heraus kam, war ich glatt noch einmal fünf Zentimeter größer. Wer kann schon von sich behaupten, der eigene Vater hätte mit seiner wissenschaftlichen Arbeit einen Hollywood-Blockbuster unterstützt?
Auch in den 1980ern, als sich die amerikanische bemannte Raumfahrt vom Prinzip „Handgranate – Anzünden, Wegwerfen“ verabschiedete und mit dem Space Shuttle kurz davor stand, einen Linienverkehr in den Weltraum aufnehmen zu können, habe ich viel von ihm gelernt. Und ich weiß auch noch, wie niedergeschlagen er war, als die bemannte Raumfahrt mit dem Challenger-Unglück 1986 einen herben Rückschlag erlitt. Leider hat man dann versäumt, das großartige Konzept des wiederverwendbaren Raumfahrzeugs weiter zu verfolgen, die Space Shuttles stehen nach dem Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzbarkeit im Museum und wir schießen unsere Astronauten wieder mit Raketen in den Weltraum.
Mein Vater hat mich immer sehr in seine Arbeit einbezogen. Als Teenager sollte ich einmal für Filmaufnahmen das berühmte Mausefallen-Experiment nachbauen, und ich war arg frustriert, als die Kettenreaktion immer wieder vorzeitig „losging“.
Um mich zu trösten, hat mein Vater mir von den Original-Filmaufnahmen für das erste Mausefallen-Experiment erzählt, wo es die Bühnenarbeiter von Walt Disney auch nicht hinbekommen haben, das Experiment so stabil aufzubauen, dass es erst dann „explodiert“ wenn die Kamera läuft. Nachdem der Aufbau das dritte Mal schief gelaufen war, wollte mein Vater selbst aufbauen, was ihm die Bühnenarbeiter verboten haben. Nur Mitglieder der Labor Union der Bühnenarbeiter dürfen diese Arbeit machen – worauf Walt Disney persönlich ihn kurzerhand für einen Monat zum „unionized worker“ für Bühnenarbeit berufen hat. Der Aufbau und die Aufnahme gelang danach.
Er war immer ganz vorne dabei, wenn es darum ging, sein Vertrauen in die nachfolgenden Geneationen zu äußern und zu leben. Kinder, so sagte er immer, lernen am besten aus eigenen Fehlern. Es ist nicht die Aufgabe der Erwachsenen, diese Fehler zu verhindern, sondern den Kindern zu ermöglichen, diese Fehler zu machen – und zwar möglichst ohne dass jemand wirklich zu Schaden kommt.
Leider haben wir dieses Vertrauen nicht immer verdient. Ich erinnere mich beispielsweise daran, dass er gerne darüber gewettert hat, dass wir unseren Namen „homo sapiens“ gar nicht verdient hätten. Wir sollten uns besser „homo belicosus“ nennen – der Kriegführende Mensch. Schade eigentlich, dass wir das nicht besser in den Griff bekommen haben.
Eine weitere Äußerung, die ich von ihm in Erinnerung habe ist „Die wahre Weisheit eines Menschen sieht man daran, wie häufig er die Worte 'das weiß ich nicht' verwendet“.
In den 1970ern und 1980ern waren ihm einige Dinge besonders wichtig, und ich würde mich heute gerne mit ihm über diese Themen unterhalten können. Da das aber nun mal nicht mehr geht, muss ich mir heute die Fragen selbst stellen, was er über diese Themen heute sagen würde.
Ich würde mich zum Beispiel sehr dafür interessieren, was er heute über die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung sagen würde.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie hat uns in den letzten fünfzig Jahren sehr geholfen, und uns große Herausforderungen für die nächsten fünfzigtausend Jahre beschert. Ich bin mir nicht sicher, ob es das wert gewesen ist. Die Fusionskonstante, nach dem die wirtschaftliche Nutzung der Kernfusion in 30 bis 40 Jahren möglich sein wird, wurde 1980 genau so postuliert wie heute – und wir wissen heute, dass Fusionskraftwerke uns genau so schwer zu entsorgende Abfälle bescheren werden wie die auf der Kernspaltung basierende heutige Technik.
Seine Wanderpredigt „Eiskeller oder Treibhaus – Zerstören wir unser Weltklima“ könnte er heute nicht mehr halten. Diese Fragen sind längst beantwortet. Heinz Haber hat in seiner „Wanderpredigt“ gerne ein Dia gezeigt, wo auf der einen Seite des Kölner Doms ein Gletscher, und auf der anderen Seite des Kölner Doms ein Palmengarten zu sehen ist. Dass sich die Menschheit für das Treibhaus entschieden hat, wissen wir inzwischen.
Um das allergrößte Problem, die von ihm als „Zeitbombe Mensch“ bezeichnete Überbevölkerung des Planeten, ist es in den Medien arg ruhig geworden. Ich fürchte, das Problem besteht für uns zwar immer noch, wir haben uns aber inzwischen andere Probleme eingefangen, die unsere Existenz auf diesem Planeten mehr gefährden als unsere eigene Fortpflanzung.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, mein Vater hat tatsächlich einen anschaulichen Vergleich verwendet, um die Länge der Erdgeschichte vom Urknall bis heute zu erklären. Er hat diese Zeit mit einem Jahr verglichen, und in dieser Skala spielt sich das, was wir so „Geschichte“ nennen, in den letzten 30 Sekunden der Silvesternacht ab.
Eine große deutsche Zeitung titelte nach einem Vortrag meines Vaters in Folge „Der Mensch – ein Silvesterscherz“.
Meine Damen und Herren, würde Heinz Haber heute noch leben, hätte er sich vermutlich unvorbereitet hier ans Pult gestellt und Ihnen eine originelle, persönliche und lustige Festrede abgeliefert – und das vermutlich in Mannemer Mundart und garantiert ohne Manuskript. In diesem Sinne muss ich Sie um Entschuldigung bitten, dass ich ihn heute nicht so vertreten kann, wie ich es gerne getan hätte. Aber ich bin mir sicher, dass mein Vater stolz wie Oskar wäre, wenn er wüsste, dass sein Sohn einmal im Kuppelsaal des Planetariums hier in Mannheim stehen würde und Sie alle zuhören. Lieber Dad, tut mir leid, aber ohne Manuskript könnte ich das hier heute nicht.
Als Träger des Bloomaulordens hat mein Vater schon 1972 nachgewiesen, die Mannemer Mundart zu beherrschen. Später hat er sich in der Gesellschaft zur Pflege vun de Mannemer Sprooch engagiert, in deren Dunstkreis schließlich der Verein Freunde des Mannheimer Planetariums entstand.
Als Hamburger Jung und Sohn eines Astrophysikers war der Besuch im Planetarium für mich etwas ganz normales. Und trotzdem hat es mich immer beeindruckt, wenn in der großen Kuppel das Licht ausgeht und der Sternenhimmel sichtbar wird. Als ich vor ein paar Monaten nach fast zwanzig Jahren Abstinenz das erste Mal wieder im Planetarium war, war das Gefühl von damals sofort zurück. Aber auch die Erinnerungen kamen dazu, und ich muss zugeben, dass es kaum einen Ort gibt, an dem ich mich so mit meinem Vater verbunden fühle wie im Planetarium – sei es nun Mannheim oder Hamburg.
Für mich als Jugendlichen war das Mannheimer Planetarium etwas besonderes: Es war weit weg, ich habe es nur eine Handvoll Male besucht. Es hatte im Gegensatz zum Hamburger Planetarium, das nur das „olle“ Modell IV als Projektor hatte, das nagelneue, topmoderne, automatisierbare Modell VI, das obendrein zum Beginn des Vortrags nicht sichtbar war sondern mit Lichteffekten und Musik geheimnisvoll aus dem Schacht auftauchte – genauso wie es das heutige Universarium auch tut.
Viele Menschen sagen, das Mannheimer Planetarium wäre ohne Heinz Habers Initiative nie gebaut worden. Ich kann mir nicht anmaßen zu beurteilen ob das wirklch so ist. Ich habe allerdings mitbekommen, wie rührig mein Vater sich auch aus der großen Entfernung um das Planetarium Mannheim gekümmert hat. Ein Krug voller Pfennigstücke, in denen sein Honorar als Kurator des Mannheimer Planetariums jährlich ausgezahlt wurde, steht – wie ich vorhin gelernt habe - heute nicht bei meiner Mutter im Wohnzimmer, sondern hier draußen in der Ausstellung.
Auf seinem Schreibtisch stand das Modell des Projektors Modell VI – heute hier in der Ausstellung - , auf dem Fensterbrett seines Arbeitszimmers stand stets ein Modell der ursprünglichen Planung des Planetariums am alten Standort im Luisenpark, mit Fucaultpendel und Saturnringen – heute nicht in der Ausstellung -, in seinem Schreibtisch lag Briefpapier vom Freundeskreis, und fast jede Geschäftsreise nach Süddeutschland enthielt auch einen Abstecher über Mannheim. Ja, man kann schon fast sagen, er wäre besessen gewesen von der Idee, seiner Heimatstadt wieder ein Planetarium zu verschaffen. Voller Stolz kam er eines Tages aus Oberkochen zurück, wo ihm das Schild „Reserviert für Mannheim“ an einem halb fertigggestellten Planetariumsprojektor gezeigt wurde. So glücklich habe ich ihn selten gesehen. Und auch diesen Projektor können Sie heute hier draußen vor der Tür besichtigen.
Aber ich habe auch immer noch seine Schimpfkanonaden im Ohr, mit denen er sich über die moderne Architektur des heute realisierten Mannheimer Planetariums aufgeregt hat. Er hätte es lieber ein bisschen klassischer gehabt. Er würde heute noch vorschlagen, das Gebäude doch endlich fertig zu bauen – das Gerüst steht ja noch!
Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, heute hier in einer Kuppel stehen zu dürfen, für deren Entstehung mein Vater gewisse Teilverantwortung trägt.
Die Ausstellung, die das Planetarium Mannheim, das Stadtarchiv, der Freundeskreis des Mannheimer Planetariums und das Karl-Friedrich-Gymnasium hier auf die Beine gestellt haben, stellt alles in den Schatten, was seit dem Tod meines Vaters vor 23 Jahren über ihn veröffentlicht wurde. Für meine Familie und mich ist es eine große Freude, mit Ihnen diesen Tag und diese Veranstaltung erleben zu dürfen. Ich sage Ihnen allen Vielen Dank für Ihre Mühe, freue mich über das tolle Ergebnis und wünsche Ihnen allen einen schönen Abend hier im Planetarium Mannheim.
Comments
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Rince on :
Eine schöne Rede!
Ralf Hildebrandt on :
Wirklich schöne Rede und eine nette Anekdote mit der Schachtel.
Tobias Haber on :
Eine wunderschöne Rede!
es erfüllt mich mit schmerz das ich an diesem tag nicht dabei sein konnte. Aber nun konnte ich auch so die Rede nachverfolgen. Und ich kann nur sagen ich bin stolz teil dieser Familie sein zu dürfen.
Marc 'Zugschlus' Haber on :
Dir wünsche ich viel Glück für Deine Prüfungen, und die Ausstellung schauen wir uns gemeinsam an.
Wir haben beide Veranstaltungen auf Video, und wenn Du Dir das wirklich antun magst, ...
Thilde on :
Schön, vor allem eben auch sehr persönlich.