Amrum - weite Wege und knappe Zeit
Den Pfingstmontag hatten wir für einen Tagesausflug nach Amrum verplant. Leider hatten wir dabei versäumt, ausreichend Zeit und Vorbereitung einzuplanen und haben bei dem Versuch, unser beider Wünsche unter einen Hut zu bringen ohne sie klar zu kommunizieren, fast die letzte Fähre zurück nach Föhr verpasst.
Wir nehmen die Zehn-Uhr-Fähre von Föhr nach Amrum, um mit den Fahrrädern nach Amrum überzusetzen. Dabei wird auf der Fähre ein wenig gefrühstückt, und um kurz nach halb zwölf sind wir endlich da. Sechs Stunden Amrum sollten doch eigentlich für ein wenig Radfahren und Meer reichen. Weit gefehlt.
Wir radeln wacker los. Alle Reiseführer raten, die Inselstraße zu meiden, dort zu radeln sei lebensgefährlich. Was für ein Unsinn. Da fahren zwar Autos, aber von "gefährlich" kann da keine Rede sein. Anyway, der Radweg ist besser asphaltiert und so fahren wir brav an der Seite. Wir entscheiden uns für die Fahrt über den "Waldweg", da Sandra gerne den Leuchtturm angucken würde.
Der Amrumer Leuchtturm ist eins der höchsten Leuchtfeuer an der deutschen Nordseeküste mit über 60 Metern Feuerhöhe über Normal Null. Das bedeutet natürlich auch, dass der Turm selbst, der auf einem Berg steht, deutlich niedriger ist. Laut Reiseführer gibt es oben auf dem Turm eine Aussichtsplattform.
Doch da ist schon die erste Enttäuschung des Tages: Man kommt nicht einmal an den Fuß des Leuchtturms; der Hügel, auf dem der Leuchtturm steht, ist schon an seinem Fuß weiträumig abgesperrt. Da steht auch nix von Öffnungszeiten, also weiterradeln.
Der Waldweg führt uns weiter bis kurz vor Nebel, wo die Frau H. sagt, im Wald könnte sie auch daheim radeln, sie wolle ans Meer. Meine rudimentären Amrum-Kenntnisse erinnern mich daran, dass der am ehesten erreichbare Badestrand in der Nähe von Norddorf ist. Nach einem Telefonat mit dem Touristikoffice ("Nein, Fahrräder nehmen wir auf Amrum nicht in den Bussen mit, wo kämen wir denn da hin!") entscheiden wir uns, die Fahrräder in Nebel an der Bushaltestelle stehen zu lassen, mit dem Bus nach Norddorf zu fahren, am Strand nach Nebel zurückzulaufen und dann mit dem Rad zur Fähre zu fahren.
Ein fast leerer Gelenk-Citaro mit jeder Menge Stellplatz (und entsprechend wenig Sitzplätzen) fährt uns nach Norddorf, wo wir erst einmal zu Mittag essen und uns dann zu Fuß auf den Weg zur Aussichtsdüne machen. Die ist leicht zu finden, und wir freuen uns nicht nur über die Aussicht, sondern dass der Weg (auf Holzbohlenwegen durch die Dünen) keine Sackgasse ist, sondern auf der anderen Seite der Aussichtsdüne noch weiter geht. Allerdings sind wir ziemlich überrascht, dass wir nicht am Strand, sondern wieder im Ort herauskommen. Hätte ich wohl mal auf die Karte geschaut.
Also ein zweiter Anlauf über einen gefühlt fünf Kilometer langen Bohlensteg durch die Dünen und diesmal kommen wir tatsächlich am Strand raus. Der Sand ist viel feiner als auf Föhr, das ist an den nackten Füßen sehr unangenehm. Amrum nutzt die Weite des Sandstrandes um die Strandkörbe viel weiter voneinander entfernt aufzustellen; gefühlt steht nur alle hundert Meter ein Korb, und der Strand ist wie ausgestorben. Es ist Niedrigwasser, und das Meer ist weit entfernt. Ich schaue auf die Uhr, es sind nur noch knapp zweieinhalb Stunden bis zur Abfahrt der letzten Fähre, und wir haben auf der Karte ausgemessen knapp sieben Kilometer Fußweg vor uns. Dessen bewusst, dass wir einen strammen und anstrengenden Fußmarsch vor uns haben, laufe ich los und versuche, möglichst nahe an den Dünen zu bleiben, ohne dass der Sand zu trocken und zu anstrengend zu laufen ist.
Sandra wird unglücklicher, als sie sich die Schuhe wieder anziehen muss, weil sie sich an einer Muschel eine kleine Schnittwunde zugefügt hat, und mir rutscht das Herz in die Hose, als ich nach einer Viertelstunde des strammen Marsches die Aussichtsplattform in den Dünen entdecke, die wir vor zwei Stunden schon besucht hatten. Inzwischen ist es 15.30 Uhr, und ich schalte in der Kartenanzeige mal die Satellitenbilder zu.
Scheiße. Der zu laufende Weg ist gerade um zwei Kilometer weiter geworden, weil ich in der Planung eine Wegelinie über naturgeschützte und schwer zu erklimmende Dünen eingeplant hatte und wir nun um diese Dünen herum laufen müssten. Damit ist die gesamte Planung zum Teufel, und ich male mir aus, ob wir auf die Schnelle ein Fahrradtransporttaxi bekommen, um die letzte halbe Stunde Fahrzeit wegsparen zu können oder ob wir uns kurzfristig auf ein nicht eingeplantes Hotelzimmer in Wittdün oder Nebel einrichten müssen. Ich weiß, dass Sandra nur des Strandes wegen nach Amrum wollte und sehe davon ab, den Abbruch des Fußweges anzuregen. Nach der Topografie zu urteilen haben wir wohl auch nur die Chance, tapfer weiterzulaufen, weil der Rückweg nach Norddorf plus Wartezeit plus Busfahrt zu den Fahrrädern wahrscheinlich eh mehr Zeit in Anspruch nähme als weiterzulaufen.
Dann entdeckt Sandra noch einen Holzsteg, der wieder binnenlands führt, und der in meiner Karte nicht eingezeichnet war. Das Satellitenbild zeigt, dass er zu einem Parkplatz etwa auf der Hälfte zwischen Norddorf und Nebel zurückführt. Unser Rettungsanker, zum Glück. Wir erreichen die Fahrräder etwa 70 Minuten vor Abfahrt der Fähre und müssen deswegen nichtmal auf dem schnellen, langweiligen Weg nach Wittdün zurück, sondern können immerhin auf der Binnenseite der Insel über Steenodde und das letzte Stück dann auf dem Deich fahren. Leider stellt sich inzwischen heraus, dass das fast ausschließlich Kiesweg ist, wo Sandra Angst hat, mit dem Fahrrad wegzurutschen und deswegen noch langsamer fährt als sie es sonst tut. Wir sind beide froh, als vor Wittdün das Radfahren auf dem Deich verboten wird (natürlich genau dort, wo der Weg wieder asphaltiert wird, aber das ist auf den Inseln immer so: Wo es schön und gut fahrbar ist, darf man nicht) und wir wieder auf die Straße wechseln können.
Auf der Fähre ist unser Frustlevel hoch genug, dass wir Fehleranalyse machen. Wir haben beide versucht, unser beider Wünsche mit Gewalt unter einen Hut zu drücken, und zwar ohne genau zu wissen, was der andere sich wirklich wünscht. Hätte ich gewusst, dass Sandra mit "ich will ans Meer" nicht nur meint, am Strand zu laufen, sondern mindestens ihre Füße ins eiskalte Wasser zu stecken und die ungebremste Wucht der Nordseebrandung zu spüren, hätte ich ganz anders geplant - denn auf Amrum kommt man nur ans ungebremste Wasser, wenn man bereit ist, kilometerweit zu laufen, ohne sich großartig auf der Insel fortzubewegen. Nach dem Kartenstudium ist der Badestrand von Wittdün hinter einer Sandbank geschützt, in der Nähe von Norddorf läuft man kilometerweit nach Westen oder Norden. Am ehesten eine Chance auf "Füße im Wasser und Nordseebrandung" dürfte man westlich von Nebel haben, aber diese Möglichkeit habe ich erst gesehen, als wir schon wieder daheim waren.
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