Next Generation Ethernet
Heute war ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mal in Karlsruhe aus dem IT-Stammtisch, und durfte einem Vortrag von Rolf Sperber zum Thema "Next Generation Ethernet" lauschen.
Der IT-Stammtisch ist aus dem Karlsruher ATM-Stammtisch hervorgegangen ist und wird seit vielen Jahren von Hans Lackner vorbildlich betreut und organisiert. Von den anderen Netzwerkerveranstaltungen in Karlsruhe unterscheidet sich der IT-Stammtisch dadurch, dass verhältnismäßig wenige Geeks im Publikum sind und sich der Teilnehmerkreis bunt gemischt aus Entwicklung, Marketing und Vetrieb großer und kleiner Firmen zusammensetzt. Graue Haare sind hier deutlich üblicher als zum Beispiel bei SAGE-, Entropia-, CCCS- oder Exlinkertreffen.
Das Publikum ist hochkarätig und die Vorträge haben legendären Ruf dafür, dass sie den Blick über den Tellerrand schärfen, aus den Normierungsgremien berichten und in vielen Punkten das darstellen, was "morgen" unser Alltag sein wird.
Meine Befürchtungen, ich würde "Freunde" aus meiner Vergangenheit wiedertreffen, blieben unbegründet: Mein "alter" Chef hatte sich gar nicht erst angemeldet, und sein Nachfolger stand zwar auf der Teilnehmerliste, erschien dann aber nicht. Dafür waren aber alte Bekannte aus Unizeiten da, und ich fand es schade, mich schon um kurz vor elf rechtzeitig für die letzte Regionalbahn mit Straßenbahnanschluss verabschieden zu müssen.
Heute sprach Rolf Sperber von Alcatel über das Thema "Next Generation Ethernet". Der Vortrag wurde von vornherein für zwei Veranstaltungen konzipiert, und so haben wir heute nur die erste Hälfte gehört, die mit über 50 Folien ziemlich genau die von mir vorab geschätzten 115 Minuten gedauert hat.
Das waren 115 Minuten gepackte Information und gepackte Technik, gepaart mit den Netzwerkstandard-üblichen Akronymen wie PE, AAL, OAM, MPLS und Konsorten. Wer da eine Minute lang nicht aufpasst, verliert den Anschluss und wird auch nicht wieder aufgesammelt. Mir rauchte der Kopf.
Heute beschäftigte sich Herr Sperber mit dem, was wir heute haben und können und können wollen, und wird auf der nächsten Veranstaltung darüber reden, wie man es eigentlich machen sollte.
Wie wir sicher alle schon gemerkt haben, geht die Tendenz auch in den Weitverkehrsnetzen klar zum Ethernet. Wer sich während des Dotcom-Booms eigenes Glas vergraben hat, kann es sich heute leisten, einzelne Fasern zu verkaufen oder zu verleasen, und die neuen Nutzer der Fasern können dank Wave Division Multiplexing für relativ kleines Geld (wir reden hier nur noch von sechsstelligen Beträgen) geradezu obszön hohe Bandbreiten in der Größenordnung mehrerer hundert Gigabit in die Fasern quetschen - und das ganze mit Run-of-the-Mill-Ethernet-Interfacen, wohlgemerkt.
Das führt natürlich dazu, dass man derzeit tendenziell versucht, alles (und das ist bei weitem nicht nur IP) über Ethernet zu machen. So ist es bereits heute gängig, auf einem Ethernet-Link MPLS zu fahren - und dann innerhalb dieses MPLS wieder Ethernet zu transportieren. Das Buzzword an dieser Stelle ist "Pseudowire", was meiner Meinung nach sehr schön deutlich macht, worum es eigentlich geht: Virtualisierung, und das auf Verbindungsebene, aber bitte flexibler und einfacher als mit der klassischen Leased Line, die ja auch schon seit langem nur noch auf kürzesten Strecken aus einem durchgehenden Stück Kupfer oder Glas besteht.
Die so eingeführte Virtualisierung durch die zwischendrin eingezogene MPLS-Schicht erlaubt es, auf den verschiedenen Ethernets, die man da - doppelt eingepackt - transportiert, ganz andere Service Levels anzubieten, als man es könnte, wenn man auf dem "unteren" Ethernet einfach VLANs als Service verkaufen würde. Und natürlich kann man auf der MPLS-Schicht auch andere Layer-2-Dienste wie zum Beispiel SDH (und darin dann wieder Telefonie, Videoconferencing und andere anspruchsvolle Bandbreitensäue) transportieren.
Auf diese Weise mutiert Ethernet derzeit gerade zur eierlegenden Wollmilchsau, die die unteren Layer der heutigen Weitverkehrsnetze zu revolutionieren droht.
Die Herausforderung dabei ist, dass man heute nicht mehr davon ausgehen kann, dass eine Datenverbindung komplett im "eigenen" Netz bleibt, und man nicht nur die Grenzen unterschiedlicher Plattformen, sondern auch die Grenzen unterschiedlicher Carrier und ihrer Managementsysteme, und vor allen Dingen Herstellergrenzen überschreiten muss. Somit besteht dringender Bedarf an Konfigurations-, Provisionierungs-, Debugging- und Überwachungsverfahren, die nicht an der ersten erreichten Vendorgrenze anhalten müssen. Da hat die Technik derzeit noch einiges an Nachholbedarf, denn heute ist noch Stand der Technik, dass beim Übergang von einer MPLS-Wolke in die nächste der ganze Datenverkehr aus dem MPLS aus-, in Ethernet-VLANs eingepackt wird, über einen VLAN-Trunk zum nächsten MPLS-PE geschoben und dort prompt wieder verMPLSsed wird. Ein Albtraum für den, der das planen, dimensionieren oder gar konfigurieren muss. Das kann es auf die Dauer nicht sein, und die Hersteller arbeiten fleissig daran, hier direkt miteinander reden zu können.
Weiter in die Technik absteigen werde ich hier nicht. Erstens kann ich das gar nicht in der Detailliertheit hierher transportieren wie es im Vortrag vermittelt wurde, zweitens stehen die Folien bei Hans Lackner im Netz und drittens kann ich mich auch auf andere Arten blamieren als hier per "Stiller Post" fremde Inhalte verfälscht ins Netz zu pusten.
Ich fand den Vortrag hochinteressant, und war mal wieder erstaunt darüber, wie sehr die ausschließliche Arbeit mit IP dazu geeignet ist, einem eine erschreckende Betriebsblindheit zu vermitteln. Kinder, für uns mag es zwar aussehen, als sei "alles bloß IP", aber unterhalb IP existieren noch weitere Schichten, die alle ihre ganz eigenen Eigenheiten und Anforderungen haben. Und Ethernet schickt sich an, trotz seiner Unzulänglichkeiten (oder wegen seiner Einfachheit?) das universelle, preisgünstige Transportpferd für all dieses zu werden.
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