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Dreibein gegen Gleissperre - Was geschah in Stuttgart?

In Stuttgart Hbf hat es - mal wieder - gekracht. Der aktuelle Fall hat aber nach den vorliegenden Informationen nur wenig mit dem zu tun, was Mitte 2012 passiert ist. Dort waren Reisezüge bei der Ausfahrt bzw. bei Testfahrten entgleist, und man diskutiert darüber, ob man bei den Vorbereitungsarbeiten am Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs für die Stuttgart-21-Bauarbeiten vielleicht ein bisschen zu sportlich bei der Planung der Gleisgeometrie war.

Dazu möchte ich mich aber hier genau so wenig äußern wie über die Sinnhaftig- oder -losigkeit des gesamten Bahnprojekts Stuttgart 21, zu dem ich eine klare, aber auch differenzierte Meinung habe.

Das was heute sehr wahrscheinlich passiert ist, kommt aber aus einer völlig anderen Kiste und zeigt nur, dass die Sicherheitstechnik der Eisenbahn auch dann funktioniert, wenn Menschen einen Fehler machen, und dass das System Bahn im Zweifel zur sicheren Seite versagt. Und auch wenn es komisch klingt: Eine im Dreck stehende Rangierlok ist eine sichere Rangierlok.

Grundlagen der Eisenbahnsicherungstechnik kann der geneigte Leser beispielsweise bei Stellwerke.de nachlesen.

In Bahnhöfen verkehren Züge grundsätzlich in sogenannten Fahrstraßen. Die zu einer Fahrstraße gehörenden Fahrwegelemente (Weichen etc) werden in die für die Zugfahrt notwendige Stellung gebracht und in dieser Stellung festgelegt und verschlossen. Erst wenn dies erfolgt ist, kann das passende Signal in Fahrtstellung gebracht werden. Dabei werden nicht nur die Fahrwegelemente verschlossen, die von dem zu fahrenden Zug befahren werden, sondern auch diejenigen, von denen eine Gefahr auf den Zug ausgehen kann. So werden beispielsweise Weichen, die ein anderes Fahrzeug in die Fahrstraße unserer Zugfahrt lassen könnten, in der "anderen" Position verschlossen. Auch diese Weichen können erst dann wieder gestellt werden, wenn unsere Zugfahrt stattgefunden hat.

Dies wird in der Stellwerkstechnik sichergestellt, und der technische Aufwand, der dort getrieben wird, ist erheblich.

Dort, wo beispielsweise die Platzverhältnisse den Einbau einer Schutzweiche nicht zulassen, werden Gleissperren eingebaut. Es handelt sich hierbei um solide Metallelemente, die auf die Schiene gelegt werden, und die von einem Fahrzeug nicht überfahren werden können. Um die Energie eines Fahrzeugs wirksam abzubauen, sind Gleissperren so ausgelegt, dass sie das Fahrzeug aus dem Gleis heben. Gleissperren dürfen in Deutschland nur dort eingebaut werden, wo keine Zugfahrten verkehren. Sie werden also beispielsweise in Lokwartegleisen eingebaut, damit eine dort wartende, kaputte oder fehlbediente Lokomotive nicht einem einfahrenden Zug in die Seite fahren kann.

Eine Rangierstraße ist im Prinzip dasselbe wie eine Zugfahrstraße, nur dass bei Rangierstraßen das Regelwerk ein wenig "relaxed" ist. Der Normalfall in Kopfbahnhöfen ist beispielsweise, dass eine Lok, die einen einfahrenden Zug übernehmen soll, in der Nähe des Bahnsteiggleises in einem Wartegleis steht, während die Einfahrt für den Zug gestellt ist und der Zug einfährt. Dabei wird die Zugfahrstraße vor dieser Lok durch eine geschlossene Gleissperre geschützt. Ist der Zug vollständig eingefahren, wird die Zugfahrstraße aufgelöst und eine Rangierfahrstraße eingestellt, über die die Lok an den Zug rangieren kann. Die Weiche läuft um, die Gleissperre geht auf und die Lok kann rangieren.

Wenn jetzt die Lok zur Unzeit auf die Gleissperre zufährt, wird sie von der geschlossenen Gleissperre zum Entgleisen gebracht und steht in einer Staubwolke im Dreck - ganz nach dem Motto "Lieber Lok neben dem Gleis als in der Fahrstraße eines Reisezugs".

Und genau dies ist - wie ein Bild in der Stuttgarter Zeitung zeigt - heute in Stuttgart passiert. Ich maße mir hier nicht an, zu sagen, warum die Rangierlok über die geschlossene Gleissperre fahren wollte, jedenfalls hat die Gleissperre ihren Job getan und die Fahrt der Lok beendet. Ärgerlich, aber ungefährlich.

Und ehe jetzt die Unken wieder kommen: Es ist natürlich so, dass der Normalzustand der Gleissperre "zu" ist, sie also nur dann geöffnet wird, wenn wirklich über sie hinweg rangiert werden soll. Es muss also bei weitem nicht heißen, dass die Lok wirklich drohte, einem wohlmöglich mit Reisenden besetzten Zug in die Seite zu fahren. Es wird lediglich der Fall gewesen sein, dass die Lok gefahren ist, ohne dass für ihre Fahrt eine passende Rangierstraße eingestellt war.

In diesem Sinne: Es ist nichts passiert außer ein paar verspäteten Zügen. Bitte weitergehen. Das einzige, was wir heute gelernt haben ist, dass die Eisenbahn auch heute noch mit Recht eins der sichersten Verkehrsmittel ist.

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