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Warum Zugschlus

Mit dem Verschwinden meiner "alten" Webseite ist auch die Erklärung weg, warum ich den Nicknamen und die Domain Zugschlus verwende. Das ist eine etwas längere Geschichte. Sie hat sich ihren eigenen Blogeintrag verdient.

Wie Ihr vielleicht wisst, verdiene ich meinen Lebensunterhalt unter anderem mit dem Design und Betrieb sicherer IT-Systeme. Und ich glaube daran, dass man mit einem Blick über den Tellerrand mehr Inspiration für seine Arbeit bekommt. Und ich interessiere mich für Eisenbahnen.

Aus dieser Kombination entstand fast naturgegeben ein Interesse für Eisenbahn-Sicherungstechnik. In kaum einem anderen Bereich lernt man so anschaulich, welche absurden Nebenfälle man beim Systemdesign abdecken muss und wie man ein System baut, das im Zweifelsfall zur Sicheren Seite hin versagt. Leider - aber das soll hier nicht das Thema sein - bekommt man auch in kaum einen anderen Bereich direkt durch verletzte oder gar tote Menschen gezeigt, wenn man versagt hat. "Die Geschichte der Eisenbahn-Sicherungstechnik ist mit Blut geschrieben."

Eine der wichtigsten Regeln des Eisenbahnbetriebs ist, dass - bis auf wenige Ausnahmen - keine Zugfahrt in ein Gleis eingelassen werden darf, das bereits mit anderen Fahrzeugen belegt ist. Man muss also auf sichere Art und Weise feststellen, dass ein Gleis frei ist, bevor man ein Signal, das eine Zugfahrt in dieses Gleis erlauben würde, auf einen Fahrtbegriff stellen darf. Das wird fast immer technisch - z.B. durch eine Gleisfreimeldeanlage - sichergestellt. Auf ganz alter Technik, dem mechanischen oder dem elektromechanischen Stellwerk, muss gar der Fahrdienstleiter aus seinem Fenster gucken (oder seinen Weichenwärter aus dem Fenster gucken lassen), um sich "durch Hinsehen" davon zu überzeugen, dass der vorgesehene Fahrweg frei ist. "Das wichtigste am mechanischen Stellwerk sind die Fenster!"

Für eine potenziell 20, 30 Kilometer lange Strecke kann man nicht mehr aus dem Fenster sehen. Also braucht es hier eine eher indirekte Art der Gleisfreimeldung. Man geht dabei davon aus, dass die Strecke frei ist, wenn der letzte Zug, der sie befahren hat, sie vollständig, also mit allen Wagen, wieder verlassen hat und zwischendrin nichts verloren hat. Die Vollständigkeit eines Zuges ist wiederum einfach festzustellen: Man fragt den Lokführer, ob er noch alle Wagen an seiner Lokomotive hängen hat, mit denen er losgefahren ist. Um dies mit Sicherheit feststellen zu können, führt jeder Zug heute noch eine Wagenliste mit.

Da es nun aber kompliziert ist, an jedem Bahnhof den Lokführer zu fragen, der zur Beantwortung vielleicht gar von seiner Lok absteigen und seinen Zug ablaufen muss, hat man hier weiter vereinfacht, indem man vor Abfahrt des Zuges den letzten Wagen des Zuges speziell markiert. Hierzu bringt man das Zugschlußsignal Zg2 am letzten Wagen an. Das ist entweder eine weiße Tafel mit zwei aufeinander zeigenden roten Dreiecken, oder rote Lichter. Damit kann der Fahrdienstleiter ohne Mitwirkung des Lokführers am vorbeifahrenden Zug durch die Beobachtung des Zugschlusses erkennen, dass der Zug vollständig ist: Ist der Schluß da, ist der letzte Wagen da, damit der Zug vollständig und der Fahrdienstleiter darf die Strecke freigeben, so dass die nächste Zugfahrt erfolgen kann. Damit der Fahrdienstleiter es im Dunkeln einfacher hat, die unbeleuchtete Zugschlußtafel eines vorbeifahrenden Güterzugs zu erkennen, sind diese heute üblicherweise rückstahlend ausgeführt und am Stellwerk hängt ein Suchscheinwerfer, mit dem der Fahrdienstleiter dem Zug hinterherleuchten kann.

Der Fehlerfall des fehlenden Zugschlusses ist der unkritische: Dadurch wird ein Zug falsch als unvollständig erkannt, die Strecke bleibt belegt und der sichere Zustand ist hergestellt: Nichts fährt mehr. Zu beheben ist das auch einfach: Man fragt den Lokführer, der vergleicht seine Zugskomposition mit der Wagenliste, sagt "Zug 2273 mit Schluß in Wiesloch-Walldorf", bessert optimalerweise den fehlenden Schluß nach und fährt weiter.

Kritisch ist der Fehlerfall, dass irgendwo mitten in der Zugskomposition ein Schluß gesteckt/eingeschaltet ist UND genau an dieser Stelle eine Zugtrennung auftritt UND der zusätzlich vorhandene Sicherheitsmechanismus, dass ein Zug beim Abreißen der Luftschläuche automatisch abgebremst wird, versagt. Tritt nur einer dieser drei Fehler nicht auf, passiert nichts. Nur wenn alle drei Fehler zusammen auftreten, wird der Fahrdienstleiter des nächsten Bahnhofs den Zug fälschlicherweise als vollständig erkennen, die Strecke freigeben und der nächste Zug brummt auf die auf der Strecke stehenden verlorenen Wagen drauf. Aber damit das passiert, müssen schon mehr als nur ein einzelner Fehler passieren. Diese Vorgehensweise findet man bei der Eisenbahn ähnlich häufig wie in der IT: Es ist mit vertretbarem Aufwand möglich, sich gegen einen (1) Fehler zu schützen. Sich gegen beliebige Kombinationen zweier beliebiger Fehler zu schützen, ist sehr oft nicht wirtschaftlich möglich. Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass eine Zugtrennung auch bei einem Zug mit "falschem", nicht am Schluß befindlichen Schluß genau so harmlos ist wie ein überflüssiger Schluß an einem Zug, der zusammen bleibt. Nichtsdestotrotz ist es eine Regel, dass ein Zug, der mit einem "überflüssigen* Schluß inmitten der Zugskomposition sofort anzuhalten ist, damit dieser Fehler korrigiert werden kann.

Modernere Technik arbeitet mit Achszählern: Hier wird die Strecke automatisch freigegeben, wenn der Achszähler am Ende der Strecke genau so viele Achsen "ausgezählt" hat wie der Achszähler am Beginn der Strecke "eingezählt" hat. Verliert der Zug seinen letzten Wagen, bleibt die Differenz ungleich Null und die Strecke bleibt belegt. Da nun auch Technik versagen kann, kann der Fahrdienstleiter in dem Fall, in dem nach einer Zugfahrt die Strecke "rot" ausgeleuchtet - also belegt - bleibt, nun auf die klassische Überprüfung der Zugvollständigkeit über die Zugschlußprüfung zurückfallen.

Somit ist der Zugschluß auch im Zeitalter elektronischer oder gar digitaler Stellwerke ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Sicherstellung des unfallfreien Bahnbetriebs.

Nun aber zu mir. Wir schreiben das Spätjahr 1999. Das war die Zeit, zu der ich langsam und endlich mit meinem Studium fertig geworden bin und man den Internetzugang "daheim" noch pro Minute bezahlt hat. Da ich im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten "meiner" Generation keinen Arbeitsplatz an der Universität hatte, war ich damals in Sachen Chat noch ein weitgehend unbelecktes Blatt. Allerdings hatte ich meinen ersten Job bei einem Internetprovider bereits in der Tasche, und es war klar, dass ich mir bald werde leisten können, mehr oder weniger regelmäßig am Internet Relay Chat, IRC, teilnehmen zu können.

Dort verwendet man bis heute Nicknamen, und ich hatte also die Aufgabe, mir einen "guten" solchen auszudenken.

Es war kalter Winter und ich unternahm eine Lustreise zur Trossinger Eisenbahn. Auf der Rückfahrt war es bereits dunkel, als ich in Villingen(Schwarzwald) in einen Regionalzug über die Schwarzwaldbahn nach Karlsruhe einstieg. Letzter Wagen war ein Halbgepäckwagen BDm, dessen zweiter-Klasse-Abteile durch das Gepäckabteil vom Rest des Zuges getrennt waren. Ich weiß nicht, ob ich der einzige Fahrgast im Wagen war, oder ob ich nur das Abteil für mich hatte. Jedenfalls war die Heizung auf höchster Stufe, das Licht aus, der Vorhang zum Gang zu und ich konnte somit in die schneebedeckte Landschaft herausgucken, während sich der Zug über die spektakuläre, von Robert Gerwig gestaltete Rampe der Schwarzwaldbahn von St. Georgen runter nach Hornberg aus dem Gebirge ins Kinzigtal herunterschraubte. Auf diesem Streckenabschnitt sah ich schließlich irgendwann den Widerschein des rot leuchtenden Zugschlusses eines entgegenkommenden Zuges und mir kam die Idee, dieses Wort als Nicknamen zu verwenden.

Allerdings hatte das IRCnet der Vergangenen Tage auch noch die Begrenzung, dass ein Nickname maximal neun Zeichen lang sein darf und außerdem auf den Zeichenraum des 7 bit ASCII Codes beschränkt ist. Damit scheiden sowohl Zugschluß als auch Zugschluss aus. Aus der Not eine Tugend machend, fiel die Wahl schließlich auf das "falsch" geschriebene Zugschlus, mit nur einem s. Dieses Ergebnis der Not hat sich jetzt, achtzehn Jahre später, als großes Glück entpuppt: Zugschlus ist in fast allen Systemen, Webfrontends, Domainnamensräumen etc noch frei, es besteht kein Konflikt mit einem irgendwo anders verwendeten Wort, und so konnte sich der mit nur einem s geschriebene Zugschlus in aller Ruhe zur Internetmarke entwickeln. Das war so zwar nicht vorgesehen, ich bin aber damit durchaus zufrieden.

Einziges Problem sind die Leute, die beim telefonischen Durchgeben einer Mailadresse trotz "Zugschlus, wie das Ende von der Eisenbahn, und nur mit einem 's' geschrieben" ein zweites s eingeben.

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JanZ on :

Danke für die interessante Geschichte! Ich hatte immer vermutet, dass das -us lateinisch wirken sollte, so wie die Namen der Römer bei Asterix. Dass ich JanZ genau so schreibe, hängt übrigens auch damit zusammen, dass bei Nicknames häufig kein Leerzeichen erlaubt war und ist.

Marc 'Zugschlus' Haber on :

Danke für den Kommentar. Die Asterix-Referenz ist mir erst später aufgefallen, hab ich dann aber billigend in Kauf genommen. Sorry für das Hakeln beim Kommentarposten, ich hab den Kommentar dann auch nur einmal approved. Wird sich hoffentlich mit dem Blogumzug erledigen.

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